Rezension

Farbexplosionen und Todesangst...

Klingsors letzter Sommer - Hermann Hesse

Klingsors letzter Sommer
von Hermann Hesse

Bewertet mit 4 Sternen

Das Jahr 1919 bedeutete in vielfältiger Weise einen Einschnitt in Hermann Hesses Leben. Seine erste Frau, Maria Bernoulli, befand sich in einer Nervenheilanstalt ohne Aussicht auf Genesung. Im Frühjahr wurde Hesse aus der Kriegsgefangenenfürsorge entlassen, für die er während des Ersten Weltkriegs gearbeitet hatte. Im Mai übersiedelte er daher von Bern ins sonnige Tessin, wo er in der Casa Camuzzi in Montagnola ein neues Domizil fand. Im Juli schließlich lernte er die Sängerin und Malerin Ruth Wenger kennen, die er 1924 heiraten sollte. Alle diese Umstände, die neu gewonnene Freiheit, die neue Liebe, vor allem die klimatisch begünstigte Gegend sollten das erste Tessiner Jahr für Hesse zur „vollsten, üppigsten, fleißigsten und glühendsten Zeit“ seines Lebens machen, die er mit Malen, Dichten und Besuchen in den Grotti des Sottoceneri verbringt. Ihr setzte er mit der im Juli und August in wenigen Wochen niedergeschriebenen Erzählung Klingsors letzter Sommer ein Denkmal.

In 'Klingsors letzter Sommer' kommt das ekstatische Lebensgefühl einer ganzen Generation zum Ausdruck. Geschildert werden die letzten Monate eines Malers, dessen Schaffensrausch an die Intensität Vincent van Goghs erinnert. Eine dramatische Szenenfolge zeigt Klingsors Wettlauf mit dem Tod, den er mit immer neuen und waghalsigeren Bildern zu überrunden versucht.

"Die kleine Palette voll reiner, unvermischter Farben von hellster Leuchtkraft, sie war sein Trost, sein Arsenal, sein Gebetbuch, seine Kanone, aus der er nach dem bösen Tode schoß." (S. 66)

Als Kind spielte Klingsor mit seinen Freunden gerne 'Scheriff und Indianer': jeder hatte zehn Leben, und immer wenn man getroffen wurde, verlor man eines, bis man gar keines mehr hatte. Klingsor wollte immer seine zehn Leben behalten, keines davon abgeben, sonst war es nichts wert. Und so lebte er auch sein wirkliiches Leben. Wie eine Kerze, die an beiden Enden gleichzeitig abgebrannt wurde. Bis er nicht mehr konnte, zusammenbrach und sich einigelte. Doch kaum ging es ihm wieder besser, schöpfte er wieder aus dem Vollen: schlief kaum, malte jede Minute des Tages, feierte des abends mit viel Wein, und gerne versüßte er sich die Nächte mit einer Geliebten. Er weiß selbst, dass es besser wäre, es anders zu handhaben - aber er kann einfach nicht anders.

"Vielleicht, wenn man eine Reihe von Nächten wirklich schlafen würde, sechs oder acht Stunden richtig schlafen, so würde man sich erholen können, so würden die Augen wieder gehorsam und geduldig sein, und das Herz ruhiger, und die Schläfen ohne Schmerzen. Aber dann war dieser Sommer vorüber, dieser tolle flackernde Sommertraum, und mit ihm tausend ungesehene Liebesblicke gebrochen, tausend unwiederbringliche Bilder ungesehen erloschen!" (S. 11)

Er betäubt sich mit Arbeit, mit Schaffen, mit Wein, mit Geselligkeit - und doch ist er durchdrungen von Todesahnungen, Todesangst. Seine Freunde können ihm nicht helfen, die Ablenkungen sind nur von kurzer Dauer, die Melancholie hat ihn fest im Griff. Ein letztes Bild will er noch malen, all sein Leben, all seine Erkenntnis, all seine Sehnsüchte darin ausdrücken - dem Tod ein letztes Schnippchen schlagen.

Ich habe eine sehr alte Ausgabe dieses Erzählbandes, auf dem Umschlag ein farbenfrohes Aquarell von Hesse selbst - er schrieb ja nicht nur, sondern malte auch. Die Ahnung, dass auch in diesem Band Hesses viel Autobiografisches mitschwingt, wurde noch durch handschriftliche Randbemerkungen des Vorbesitzers bestätigt. Hesse, selbst häufig schwermütig und melancholisch, drückt Klingsor eindeutig seinen Stempel auf. Wenn den Randbemerkungen zu trauen ist, tauchen auch - unter anderem Namen - einige Menschen in der Erzählung auf, die in Hesses Leben eine wichtige Rolle spielten.
In dieser Erzählung hat man als Leser manchmal das Gefühl, in Farben geradezu zu ertrinken. Nicht nur die Bilder Klingsors werden so sehr präsent, sondern auch die Gefühlswelt des Malers werden dergestalt verdeutlicht.

"Tief biß er sich fest im verschossenen Lila einer Zeltborte, im freudigen Grün und Rot der schwerfälligen Wohnwagen, in den blau-weiß gestrichnen Gerüststangen. Grimmig wühlte er im Kadmium, wild im süßkühlen Kobalt, zog die verfließenden Striche Krapplack druch den gelb und grünen Himmel. Noch eine Stunde, oh, weniger, dann war Schluß, die Nacht kam (...), der Tod lachte versteckt im bräunenden Laub. Klinge hell und schmettre, Kadmium! Prahle laut, üppiger Krapplack! Lache grell, Zitronengelb! Her mit dir, tiefblauer Berg der Ferne! An mein Herz ihr, staubgrüne matte Bäume!" (S. 64 f.)

Hesse zieht einen in den Strudel seiner Erzählung, wort- und bildgewaltig - und durchsetzt von Schwermut und Todesahnung. Das ist zuweilen recht bedrückend, aber Hesses Schreibstil hat mich einmal mehr bezaubern können. Scheinbar spielerisch, oft poetisch reihen sich die Sätze aneinander - und auch wenn Reich-Ranicki Hermann Hesse einst als drittrangigen Schriftsteller abqualifiziert hat: ich lese ihn immer wieder gern, wenn auch wohl dosiert, weil die Melancholie seinen Werken doch immanent ist.

"Es war die spätgoldene Stunde, noch glühte Licht des Tages überall, doch gewann der Mond schon Schimmer, und erste Fledermäuse schwammen in der grünen Flimmerluft." (S. 82)

Eine kleine Erzählung, die sich nicht einfach schnell herunterlesen lässt, aber einen tiefen Eindruck hinterlässt.

© Parden