Rezension

Feine Leute und „der schönste Mann der UFA“

Feine Leute - Joan Weng

Feine Leute
von Joan Weng

Bewertet mit 3 Sternen

Eins vorweg: auf „Feine Leute“ muss man sich einlassen, sonst wird man mit dem Buch nicht froh. Die ersten 30-50 Seiten hab ich ganz schön gekämpft, denn die Sprache mutete recht gewöhnungsbedürftig an und musste mich sehr konzentrieren um den roten Faden nicht zu verlieren. Aber zum Glück wurde das Lesen für mich nach ca. 50 Seiten leichter – entweder hatte ich mich dann an die Sprache gewöhnt oder der anfängliche sprachliche Enthusiasmus wich dann doch etwas mehr dem Mainstream… (ich kanns nicht genau sagen, aber in dem Fall lohnt sich das Durchhalten).

Der Fall an sich klingt erstmal nicht besonders spektakulär, denn eine stark Verdächtige gibt es gleich von Beginn an. Aber als die dann plötzlich auch noch unter ungeklären Umständen das Zeitliche segnet, ist guter Rat teuer für Kommissar Paul Genzer. Unterstützt wird er bei seinen Ermittlungen von Schauspieler Carl von Bäumer, 23 Jahre jung – und sein fester Freund. Was natürlich keiner wissen darf, denn es gibt ja den sogenannten „Unzuchtparagrafen“.

Und diese Konstellation bringt mich zu meinen Hauptkritikpunkten: ich fand es grundsätzlich sehr erfrischend für einen Krimi, noch dazu einen historischen, wenn die Protagonisten ein homosexuelles Paar sind. Da hätte man wirklich viel draus machen können. Und jetzt kommt das große ABER: von Bäumer verkommt für mich zu einem kleinen Jammerlappen (sorry, ich kanns nicht anders ausdrücken). Er rennt Genzer hinterher wie ein Schatten, klammert wie ein Äffchen und scheint ohne sein Paulken absolut verloren… Ich hatte die meiste Zeit beim Lesen den Begriff „Schoßhündchen“ im Hinterkopf, ich denke das beschreibt es am Besten. Auch wenn immer wieder betont wurde, dass Bäumer gemeinhin „der schönste Mann der UFA“ ist und auf alle Damen eine ungeheure Anziehungskraft ausstrahlt. Mir war er leider weder sympathisch noch eines Buch-Helden würdig.

Mein zweiter großer Kritikpunkt: Ich frage mich, ob homosexuelles Miteinander in der Form, wie hier im Buch geschildert, vor dem Hintergrund des besagten „Unzuchtparagrafen“ überhaupt möglich gewesen wäre. Es wissen doch einige im engeren Kreis um Carl von seiner Neigung und kennen auch seinen Partner. Sie sprechen sogar sehr offen darüber. Aber angesichts der Tatsache, dass Carl (ich wiederhole: „der schönste Mann der UFA“) absolut im Fokus der Öffentlichkeit steht, kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Beziehung lange geheim geblieben wäre. Auch damals gab es Journalisten und auch die mussten von etwas leben… Kurzum: die hier geschilderte Beziehung erscheint mir in der Realität kaum möglich.

Trotz des bemerkenswerten Stils und der raffinierten Auflösung des Falls kann ich daher nicht mehr als 3 Sterne vergeben.