Rezension

Frauen in ihrer Zeit

Wie ich mich sehe - Frances Borzello

Wie ich mich sehe
von Frances Borzello

Bewertet mit 4.5 Sternen

Unterscheiden sich weibliche Selbstporträts von jenen der Männer? Und wenn ja, warum? Von der über weite Strecken männerdominierten Kunstwelt lange negiert, beweist die Kunsthistorikerin Frances Borzello, dass es sich bei diesen „gemalten Autobiografien“ um eine eigene Kunstgattung handelt. Anhand von knapp 200 Künstlerinnen entfaltet die Autorin eine überraschend vielfältige Bandbreite an Themen und Werken – von mittelalterlichen Selbstporträts von Nonnen in Handschriftenillustrationen über Malerei und Skulptur selbstbewusster Meisterinnen ihres Metiers bis zu den Tabubrüchen in Fotografie und feministisch geprägter Performance in der Gegenwart – und bereichert damit die Kunstgeschichte um ein brandneues Kapitel. (von der Brandstätter-Verlagsseite kopiert)

Braucht man nach und neben all den Büchern, die sich mit Selbstporträts beschäftigen, noch eines, das nur Selbstporträts von Frauen betrachtet?

Eindeutig: Ja.

Denn die Geschichte weiblicher Selbstporträts – im Grunde weiblicher Malerei generell – ist eine ganz andere als die der männlichen.

 

Ein weiter Weg von den Anfängen der Buchmalerei mit den stilisierten Frauenabbildern bis zur Freiheit des 20. Jahrhunderts mit bisweilen Anstoß erregender Körperlichkeit.

Malerinnen gab es in allen Zeiten und Epochen, doch solange Männer ihnen das handwerkliche und kreative Können absprachen, waren sie „unsichtbar“. Zwischen der Kraft einer Artemisia Gentileschi und den Tabubrüchen einer Frida Kahlo liegen 300 Jahre.

 

Auch wenn sie nicht ignoriert wurde, war eine Malerin bis zum 19. Jahrhundert eingeschränkt, wenn sie sich ihre (von Männern definierte) weibliche Würde auch als Künstlerin erhalten wollte. Das fest gefügte Rollenbild der Frau als Ehefrau und Mutter, als vom Mann (Vater oder Ehemann) abhängiges Wesen, gleichzeitig behütend und behütet schlug sich in der Kunst nieder. Auf den Selbstbildnissen wirken die Frauen durchweg sittsam, gut gekleidet und hübsch. Manchmal verraten die Augen oder die Mimik Gedanken, die in eine andere Richtung gehen.

Natürlich gab und gibt es in jeder Zeit Ausnahmen: Frauen, die sich nicht begnügten mit dem, was ihnen vorgegeben war, sondern die mit ihrer Gemälden eine Art passiven Widerstand ausdrückten. Oder Frauen, die ihr heimisches Umfeld verließen, um sich ganz ihrer Kunst zu widmen. Oder Frauen, die das Glück hatten, in Malerfamilien hineingeboren oder hineingeheiratet zu haben.

Unter den 50 teuersten Gemälden der Welt befinden sich nur von Männern gemalte Bilder, denn die Frauen holen erst seit ein paar Jahrzehnten auf.

 

Borzello gelingt es, sowohl wissenschaftlich korrekt als auch verständlich zu schreiben, ohne dass man ihr Buch in die populärwissenschaftliche Schublade stecken könnte. Zwischen den Zeilen hört man ihr Engagement für ihre Themen, die Kunst und die Selbstbestimmung der Frauen und Künstlerinnen heraus.

Neben Borzellos Texten machen die Drucke der Gemälde das Buch zum Schmuckstück. Nicht jedes besprochene Bild ist abgedruckt, aber mit Google zur Seite kann man diese Lücke füllen.

 

Die Schrift des Buches ist sehr klein. Auf der einen Seite einsichtig, wenn man ein Buch mit diesem Informations- und Bildumfang herausbringt und es nicht zu dick und damit zu teuer machen will; auf der anderen Seite der einzige Faktor, der das Lesevergnügen trübt.