Rezension

Ganz, ganz großes Kino, Mr Pollock!

Die himmlische Tafel - Donald Ray Pollock

Die himmlische Tafel
von Donald Ray Pollock

"…ach, dass es danach noch was Schönes gibt, ist tröstlich in unserer Lage. Wie gut! Und doch, da bleibt uns noch die kleine, die große, die Frage – das wüssten wir gern noch daneben! Ob’s sowas gibt, wir hätten‘s gern: auch vor unserm Tode ein Leben“ (aus: Es gibt ein Leben vor dem Tod, Wolf Biermann). Diese Liedzeilen sind mir spontan in den Kopf gekommen, als ich die ersten Seiten des neuen Romans „Die himmlische Tafel“ von Donald Ray Pollock gelesen habe (erschienen bei Liebeskind, und wie immer wunderbar übersetzt von Peter Torberg).

Pearl Jewett verdingt sich mit seinen drei erwachsenen Söhnen Cane (der einzig Normale in der Familie), Cob (der liebenswerter Tölpel) und Chimney (der unüberlegt agierende Hitzkopf) in Georgia als Tagelöhner. Aber obwohl sie sich Tag für Tag die Seele aus dem Leib schuften, fristen sie ein Leben in bitterster Armut unter unbeschreiblichen Zuständen, weil Pearl der Vorstellung anhängt, dass ihnen alle Entbehrungen auf Erden nach dem Tode von einem gnädigen Gott vergolten werden. Dann werden sie nie mehr Hunger leiden, sondern an der himmlischen Tafel speisen, auf der sich alle vorstellbaren Köstlichkeiten auftürmen. Abwechslung in die Mühsal des täglichen Einerleis bringen nur die Abendstunden, in denen Cane seinen Brüdern aus einem Groschenroman die Abenteuer des „Bloody Bill Bucket“ vorliest. Ein Bankräuber ohne Furcht und Tadel, den sie zutiefst bewundern.

Es kommt wie es kommen muss, als ihr Vater stirbt. Ob an Auszehrung oder einer Vergiftung durch das Fleisch eines kranken Schweins, weiß man nicht so genau. Aber von heute auf morgen sind die Brüder allein auf sich gestellt und müssen eigene Entscheidungen treffen. Sie beschließen, ihrem Idol Bill Bucket nachzueifern und sich auf den Weg gen Kanada zu machen, um dort ihr Glück zu finden. Sie vagabundieren über Land und beschaffen sich die nötigen Mittel für ihren Lebensunterhalt, wie könnte es anders sein, indem sie Banken überfallen.

Und spätestens hier hatte ich ständig die Coen-Odyssee „O Brother Where Art Thou“ vor Augen, denn auch die Jewett-Brüder machen auf ihrer Reise Bekanntschaft  mit äußerst skurrilen Typen, wobei das um seine Ersparnisse betrogene Ehepaar Fiddler aus dem Süden Ohios noch am harmlosesten ist. Deren Sohn ist spurlos verschwunden, und so „adoptieren“ sie kurzerhand den jungen Cob Jewett…

Wie bereits in „Das Handwerk des Teufels“ beeindruckt der spät zum Schriftsteller berufene Donald Ray Pollock wieder einmal mit einer rabenschwarzen Geschichte aus dem ländlichen Amerika. Sämtliche Personen sind einfache Gemüter, Kompass für ihr Handeln ist in erster Linie die Bibel, aber natürlich nur die Passagen, die „Auge um Auge“ fordern. Keiner von ihnen wurde jemals vom Schicksal begünstigt, jeder Tag fordert erneut dazu heraus, um’s Überleben zu kämpfen. Moral ist ein Fremdwort, lediglich bei Cane sind entsprechende Tendenzen zu erkennen. Aber auch er ist kein Heiliger, so wie es in dem gesamten Roman keine Heiligen sondern nur Sünder gibt.

„Die himmlische Tafel“ ist absolut keine Lektüre für Zartbesaitete. Es wird gelogen,  gestohlen und geprügelt, herumgehurt, gesoffen, geflucht, geschossen und gemordet. Pollock Sprache ist direkt und kompromisslos, die Dialoge sind oft bizarr und von schwarzem Humor geprägt. Seine Beschreibungen sind atmosphärisch dicht, sehr bildhaft und lassen vor dem Auge des Lesers immer wieder filmische Sequenzen ablaufen. Und so bleibt abschließend nur zu sagen: Ganz, ganz großes Kino, Mr Pollock!