Rezension

Ganz große Erzählkunst

Der Wolkenatlas - David Mitchell

Der Wolkenatlas
von David Mitchell

Bewertet mit 5 Sternen

Darum gehts:

Sechs Lebenswege, die sich unmöglich kreuzen können: darunter ein amerikanischer Anwalt, der um 1850 Ozeanien erforscht, ein britischer Komponist, der 1931 vor seinen Gläubigern nach Belgien flieht, und ein koreanischer Klon, der in der Zukunft wegen des Verbrechens angeklagt wird, ein Mensch sein zu wollen. Und dennoch sind diese Geschichten miteinander verwoben. Mitchells originelle Menschheitsgeschichte katapultiert den Leser durch Räume, Zeiten, Genres und Erzählstile und liest sich dabei so leicht und fesselnd wie ein Abenteuerroman.

Mein Eindruck:

Seid ihr Fan von Abenteuerromanen, Historien, Krimis und Zukunftsdystopien? David Mitchells Der Wolkenatlas vereint all diese Genres in sich und ist trotzdem so viel mehr als die Summe seiner Teile. Über sechs Zeitebenen hinweg schafft David Mitchell ein dichtes Netz von Geschichten, die auf den ersten Blick unabhängig erscheinen, jedoch alle miteinander verwoben sind zu einem unglaublichen Roman, den ich erst dann atemlos aus der Hand legen konnte, als er zuende war.

Ein wichtiger Aspekt des Romans ist die Idee, dass Menschen auch über den Tod hinaus immer wieder zueinander finden und ihre Wege sich unweigerlich kreuzen. Ist es Schicksal? Oder Zufall? Aber keine Sorge, hier geht es nicht um Leben und Sterben im Buddhistischen Sinne. Vielmehr verschachtelt der Autor all diese Geschichten ineinander, sodass eine Art Matrioschka-Puppe aus Handlungen entsteht. Anfangs war mir dieser geniale Schachzug noch gar nicht bewusst, also dachte ich "Warum hören all diese Geschichten mittendrin auf?" Aber weit gefehlt, denn es gibt mit jedem von ihnen noch ein Wiedersehen und der Sinn des Ganzen braucht eine Weile, um sich zu setzen und klar zu werden.

Auch der Kampf gegen die Unterdrückung, sei es durch das System, die Politik, Lobbyisten, die Wirtschaft, Ärzte, Geldeintreiber aber auch persönliche Vorbilder spielt eine wichtige Rolle im Buch. Jeder der Charaktere ist auf irgendeine Art von jemand anderem abhängig oder wird in seiner Entwicklung behindert und muss sich erst von diesen Problemen frei machen, um zu sich selbst zu finden. Es machte mich beim Lesen wirklich nachdenklich, auf wie viele Arten sowohl Unterdrückung als auch Befreiung möglich sind.

Jede Geschichte ist auf eine bestimmte, jedes Mal andere Art und Weise mit der vorherigen und der darauffolgenden verbunden, und der Leser muss selbst herausfinden wie. Jedesmal war ich wieder überrascht und begeistert von der Idee, die David Mitchell diesmal parat hatte. Wie eine Pyramide werden die einzelnen Kurzgeschichten von der Vergangenheit bis in die ferne Zukunft erzählt, bevor es wieder zurück bis ins Jahr 1850 zurückgeht und die letzten Fragen geklärt werden.Eine große Gemeinsamkeit der Storys ist außerdem ein kometenförmiges Muttermal, das immer wieder auftaucht und alles symbolisch verbindet.

Ein weiterer toller Aspekt war der vielseitige Schreibstil, der je nach Story und Charakter angepasst wurde, denn natürlich sollte ein Mensch 1850 anders schreiben als jemand im Jahre 2500. David Mitchell schafft es, jeder der sechs Geschichten einen komplett eigenen Erzählton zu geben, je nach Genre, Zeit, Alter und Bildungsstand des Protagonisten. So wurde es nie langweilig. Nicht jeder Autor schafft es, so viele Stile gleichtzeitig so gut zu beherrschen, das verdient meiner Meinung nach großen Respekt.

Gleichzeitig war mir jeder der Charaktere auf seine eigene Art unheimlich sympathisch. Bei jedem anderen Kurzgeschichtenband, den ich bisher gelesen habe, kam immer die eine oder andere Geschichte oder Person  vor, mit der ich nicht gut klarkam - hier könnte ich noch nicht einmal sagen, welche der Geschichten mir am besten gefallen hat, weil alle unglaublich gut waren. Über den Inhalt der einzelnen Geschichten möchte ich an dieser Stelle allerdings nicht mehr verraten als die oben genannten Aspekte, um nicht zu viel zu verraten. 

Fazit:

Selten zuvor ist mir ein solche kreatives, berührendes und vielschichtiges Werk begegnet. David Mitchell hat sich hier etwas Großes vorgenommen und grandios in die Tat umgesetzt. Für mich war das Buch das Jahreshighlight 2012 und ich würde es jedem uneingeschränkt empfehlen.

Kommentare

gab am 08. Oktober 2013 um 20:23 kleinlaut bei

Ich habe es ja drei Mal versucht anzufangen...aber das im ersten Kapitel das Wort "Und" nicht ausgeschrieben wird, hat mich einfach Wahnsinnig gemacht...