Rezension

Gebeugtes Recht

Blau ist die Nacht - Eoin McNamee

Blau ist die Nacht
von Eoin McNamee

Bewertet mit 4 Sternen

April 1949. Eine Frau wurde ermordet. Der Attorney General, Richter Lance Curran, will den Fall haben und den Angeklagten hängen sehen. Aber es gibt andere einflussreiche Leute, die den Casus anders bewerten, trotz scheinbar zweifelsfreier Beweislage. Curran kämpft gegen diese Kräfte und gegen sein eigenes Gewissen, zugleich werden häusliche Herausforderungen zunehmend zum Problem: seine psychisch labile Ehefrau, die ungebärdige heranwachsende Tochter, die Jahre später selbst einem Mord zum Opfer fallen wird, dessen Hintergründe nie ganz aufgeklärt wurden. Ein wahrer Fall und ein faszinierend-abgründiger Roman aus Nord-Irland, in dem der Clash zwischen den irisch-nationalistischen Katholiken und den der britischen Krone verbundenen Protestanten schon mit Händen zu greifen ist.

Laut eigener Aussage wurde der Autor von einem alten Zeitungsabschnitt über den ungelösten Mord an Patricia Curran zu diesem Buch inspiriert. Daher: Keine Einordnung im Krimi-Genre, auch weil das Buch vom Verlag als „Roman“ deklariert wird.

Der Leser weiß also von vorneherein: Es geht um ein wahres Verbrechen, und das Rätsel um den Mörder bleibt ungelöst. Liest sich der Klappentext so, als sei Lance Curran der Protagonist, richtet sich der Fokus der Handlung eher auf seinen Wahlhelfer Harry Ferguson und auf seine Tochter Patricia.

Auch steht nicht der Mord an Patricia im Mittelpunkt, sondern der aus dem April 1949 an Mary McGowan, einer irischen Katholikin, die vermutlich von dem protestantischen Arbeiter Robert Taylor umgebracht wurde. Alle Indizien sprechen dafür, und Lance Curran übernimmt den Fall. Sein Adlatus Ferguson weiß: Sobald ein Protestant des Mordes an einer katholischen Frau schuldig gesprochen wird, brechen Chaos und Gewalt in der Stadt aus. Trotz eindeutiger Beweislage versucht Ferguson alles, dass die Geschworenen keinen Schuldspruch fällen.

Patricia, ein aufmüpfiges Mädchen, heftet sich an Fergusons Fersen, getrieben vor allem durch erotisches Interesse.

Als sie einige Monate später ermordet und anscheinend der Falsche verurteilt wird, lässt dies Ferguson keine Ruhe, und noch Jahrzehnte später wühlt er in alten Akten, befragt Beteiligte und forscht weiter.

 

Mit wohltuender Distanz erzählt der Autor die Geschichte; der einzige, dem der Leser nahe kommt, ist Ferguson, aber gerade er erzeugt ambivalente Gefühle, denn was ihn umtreibt, hat mit Recht und Justiz nichts mehr zu tun. Er wird von Angst regiert, von Angst vor dem Pöbel, vor denen, die in der Stadt das Sagen haben, Angst vor dem Ende seiner Karriere. Seine Angst wird vor allem dadurch begünstigt, dass seine Frau Esther durch die Clubs der Stadt zieht und zahlreiche Männerbekanntschaften knüpft.

Leider gelingt es McNamee nicht, die reale Gefahr eines öffentlichen Aufstands erlebbar zu machen. Hier eine Gruppe Männer, die zusammen steht, dort ein Stein, der geworfen wird, hier Getuschel im Pub, dort böse Blicke im Gerichtssaal, aber nichts, das so bedrohlich erscheint, um Fergusons Mauschelei hinter dem Rücken seines Chefs und die Beugung der Justiz zu rechtfertigen. Zu diesem Komplex hätte man sich eindringlichere und unmissverständlichere Szenen gewünscht.

Sich einzulesen fordert den Leser heraus: Der Autor erzählt seine Geschichte nicht chronologisch, sondern in zeitlich versetzten Abschnitten. Trotz der genauen Angaben über Datum und Jahr dauert es einige Seiten lang bis man sich orientiert hat, welcher Handlungsstrang zu welchem Zeitabschnitt gehört und in welcher Korrelation die einzelnen zueinander stehen.

Eine lohnende Lektüre aus der Zeit der nordirischen Unruhen Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts.