Rezension

Gefährliche Gerüchteküche

Das Gerücht -

Das Gerücht
von Lesley Kara

Bewertet mit 4 Sternen

Joanna zieht mir ihrem Sohn Alfie aus London in eine idyllische Stadt am Meer. Dann schnappt sie auf, dass die berüchtigte Kindermörderin Sally McGowan unter falscher Identität in der Stadt leben soll. Sie erzählt anderen Müttern davon und merkt im selben Moment, dass sie damit ein Gerücht anstößt, das sich nicht aufhalten lässt.

„Das Gerücht“ ist meinem Empfinden nach ein Spannungsroman, der sich mit den Konsequenzen von Worten hinter vorgehaltener Hand auseinandersetzt. Gleichzeitig wird ein faszinierendes Thema aufgegriffen: Wie ergeht es Menschen, die als Mörder Schlagzeilen machten? Wie sieht ihr Leben nach dem Gefängnis aus? Und wie können sie es wagen, ein Teil der Gesellschaft zu sein?

Gerade die letzte Frage ist bitte plakativ zu betrachten, weil ich mir keinesfalls ein Urteil anmaße. Aber das Gedankenspiel finde ich interessant. Wie ergeht es Menschen, die vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren als Mörder durch die Medien gegangen sind? Die zu dramatischer Berühmtheit gelangten, weil ihr Handeln so scheußlich war? 

Dieser Fragestellung bedient sich Autorin Lesley Kara und setzt ein Gerücht über die Kindermörderin Sara McGowan in ihrer Romanwelt frei. Protagonistin Joanna hegt den Verdacht, dass Sara unter falschem Namen in ihrer Gegend lebt und äußert sich gedankenlos bei anderen Müttern dazu. 

An dieser Stelle kommt die titelgebende Dynamik ins Rollen, weil ein Gerücht im geeigneten Milieu rasch ein Feuer entfacht. Dabei beleuchtet Kara außerdem, unter welchen Umständen solches Geschwätz entsteht, weil es eher dazu dient, ein Bedürfnis der erzählenden Person zu befriedigen. 

Joanna ist mit ihrem Sohn Alfie neu in der Stadt. Zwar wuchs sie hier auf, hat aber - nach vielen Jahren in London - den Anschluss verloren. Damit ihr Sohn einen guten Start in der neuen Schule und Umgebung hat, schließt sie sich anderen Müttern an, die sich ihr erst öffnen, als sie durch das Gerücht Interesse weckt. 

„Alle wichtigen Augenblicke in unserem Leben sind bestimmt von der Wahl, die wir im Bruchteil einer Sekunde treffen. Eine Wahl, die uns für immer prägen kann.“ (S. 373)

Aus den genannten Ebenen spinnt sich ein faszinierender Spannungsroman, der Fragen aufwirft, Themen und Verhaltensweisen näher beleuchtet und gleichzeitig fesselnd zu lesen ist.

Einzig Joanna empfand ich in manchen Situationen als zu hysterisch, und sie nahm nach Außen den Charme einer Helikopter-Mutter an. Ihr Auftreten ist allgemein vom mütterlichen Beschützerinstinkt geprägt, woraus manche Situation überhaupt erst entstanden ist. 

Die Handlung als Ganzes betrachtet ist spannend erzählt und regt enorm zum Rätseln an, während man mit Joanna gemeinsam das Verhalten der Damen im Ort analysiert. Man gerät in einen Sog aus Verdächtigungen, Falscheinschätzungen und Überreaktionen, der im kleinstädtischen Milieu bedrohlich wirkt. Könnte eine von ihnen wirklich Sara McGowan sein? 

Das Ende fand ich richtig gut, obwohl es meinem Geschmack zu dramatisch ausgearbeitet war. Manches davon hätte ich nicht gebraucht, wobei es trotzdem ein rundes Bild abgibt und die Auflösung für mich tatsächlich eine Überraschung gewesen ist. 

Meiner Meinung nach ist „Das Gerücht“ ein einnehmender Spannungsroman, der mit interessanten Themen aufwartet, die Gefahr von Geschwätz veranschaulicht und sich gut lesen lässt.