Rezension

Gelungene Biographie eines außergewöhnlichen Menschen

"Nicht mich will ich retten!" - Monika Pelz

"Nicht mich will ich retten!"
von Monika Pelz

Bewertet mit 5 Sternen

(enthält "Spoiler". Aber eine Biographie-Rezi darf das)

Es war einmal ein kleines Mädchen, das bei seinen neugierigen Streifzügen durch die Inhalte der elterlichen Bücherregale auf das großformatige und mit schönen Bildern illustrierte Märchenbuch "König Hänschen" stieß. Immer wieder durchblätterte es fasziniert das außergewöhnliche Buch und betrachtete die schönen Abbildungen, bis es groß und neugierig genug war, um auch den Text zu lesen. Diese traurige, wunderschöne Geschichte von einem Kind, das König wird und anfängt, auf stille und unaufdringliche Weise die Welt zu revolutionieren, ließ mich nicht mehr los. Wer schreibt im Jahr 1923 so ein Buch? Der Autor war ein polnischer Jude namens Henryk Goldszmit, der sich als Schriftsteller Janusz Korczak nannte. Monika Pelz hat seine Biographie mit dem Titel "Nicht mich will ich retten" verfasst. Schon das erste Kapitel gefällt mir außerordentlich gut. Lebendig, aber auch präzise auf den Punkt gebracht, schildert die Autorin richtungsweisende Erlebnisse des jungen Henryk. Früh beginnt der junge Mann aus gutbürgerlichem Hause, sich für die Kinder in den Armenvierteln Warschaus zu interessieren und sich um sie zu kümmern.

Wer war und was tat Janusz Korczak? Er war Arzt. Schriftsteller. Pädagoge. Und was für einer. Der Ferienlagerbetreuer und spätere Waisenhausleiter nimmt die Kinder ernst, entwirft eine "Kinderdemokratie" ("Ich hatte begriffen, dass Kinder eine Macht sind, die man zur Mitwirkung ermuntern und durch Geringschätzung verletzen kann, mit der man aber auf jeden Fall rechnen muss.") Von den Kindern erwartet er sowohl die Herausbildung eines eigenen Willens, als auch die Entwicklung der Fähigkeit zum Verzicht. Das aber einfordern zu können, bedeutet, der Erzieher muss es selber vorleben.

Monika Pelz stellt Zitate, Fortlauf der Geschichte und Querverweise zu Korczaks zahlreichen Veröffentlichungen zu einem scharf analysierten und dichten Persönlichkeitsbild des Menschen Janusz Korczak zusammen. Die Lektüre ist packend und niemals langatmig. Ein ganzes Kapitel ist der Geschichte von König Hänschen gewidmet. Nimmt Korczak mit dem traurigen Ende des Märchens schon das Ende seiner eigenen Biographie vorweg? Ahnt er es? Resigniert schreibt er, dass er als Kind all das tun wollte, was er in der Geschichte König Hänschen tun lässt. "Aber dann hab ich es vergessen, und heute bin ich zu alt." Hier widerspricht ihm die Biographin. Denn seinen Waisenhauskindern "gab er ein Parlament, einen eigenen Gerichtshof, Geborgenheit und grüne Wiesen, auf denen sie im Sommer spielen konnten." Wichtiges Thema ist für Korczak auch die Überwindung von Rassendenken. König Hänschens beste Freundin ist eine Schwarze. Eine fortschrittliche Sichtweise, die von der erbarmungslosen Realität im Polen der 30er Jahre eingeholt wird: seine jüdischen Waisenhauskinder erleben Schikanen; er selbst verliert 1936 seine Stelle als Autor und Sprecher einer erfolgreichen Rundfunksendung. Die Luft zum Atmen für Juden wird dünner. Korczak erwägt, nach Israel auszuwandern. Und entscheidet sich dann doch für die Kinder in Warschau. Hat man durch sein bisheriges Lebenswerk noch nicht genügend Ehrfurcht vor diesem außergewöhnlichen Menschen, so braucht man nur von seinem heldenhaften Verhalten nach der Einnahme Warschaus durch die Nazis zu lesen. Janusz Korczak schert sich nicht die Bohne um die neue Armbindenverordnung für Juden und ist ständig in seiner polnischen Uniform unterwegs, um Lebensmittelspenden für die Kinder aufzutreiben. Wie durch ein Wunder entgeht er dabei immer wieder den Nazi-Kontrollen. Erst als er sich bei der Zwangsumsiedlung des Waisenhauses ins Ghetto gegen die Konfiszierung von Kartoffeln zur Wehr setzt, wird er festgenommen, brutal verhört und für mehrere Monate eingekerkert, was ihn aber nicht hindert, sich nach seiner Entlassung sofort wieder hingebungsvoll um die Kinder im Waisenhaus zu kümmern. Als er schließlich mit den Kindern in den Zug nach Treblinka verladen werden soll, kümmert er sich nicht um die zahlreichen Versuche befreundeter Menschen, ihn zu retten. Er geht mit seinen Kindern in den Tod und ist schon wenige Tage später zur Legende geworden.

"Und schon wusste die ganze Stadt, dass er tot war.
Und das ganze Land.
Und die ganze Welt."
(aus "König Hänschen")

Großartig ist, dass Monika Pelz es nicht bei diesem Ende bewenden lässt. Sie beschreibt, wie sich nun im Ghetto Widerstand formiert, der auch von Teilen der polnischen Bevölkerung unterstützt wird. "In der Unterstützung der Verfolgten Juden durch die polnische Bevölkerung liegt ein Sieg. Gemeinschaft und Brüderlichkeit sind wiedererstanden. ,Nicht mich will ich retten, sondern meine Idee', hat Korczak fast ohne Hoffnung geschrieben. Seine Idee lebt."