Rezension

Gelungener unblutiger Psychothriller

Die Lügen jener Nacht - Judith Merchant

Die Lügen jener Nacht
von Judith Merchant

Ein Krimi ist es nicht, ein klassischer Roman auch nicht und eine Schnulze schon gar nicht. Sagen wir mal, es handelt sich um einen psychologischen Spannungsroman der gehobenen Klasse. Denn das ist er wirklich - spannend, gut geschrieben, ausgefeilt.

Mimi lebt in Schottland und hat den Kontakt zu ihren deutschen Studienfreunden schon lange abgebrochen. Als sie zu einer Hochzeit in die alte Heimat eingeladen wird, kommt sie dieser Einladung schweren Herzens nach. Sie wird herzlich aufgenommen, sofort integriert, als wäre sie niemals weg gewesen. Doch unterschwellig ist da etwas, was sie nicht zuordnen kann. Immer wieder blitzen alte Erinnerungen auf, verschwinden neue Erinnerungen in einem Nebel, gerne mal einem Alkoholnebel, und die Menschen um Mimi herum sind wohl nicht immer so, wie sie erscheinen (möchten).

Als dann der Bräutigam tot aufgefunden wird und Mimi ins Fadenkreuz der Ermittlungen gerät, nimmt die Story langsam und konstant an Fahrt auf. Die ganze Zeit über herrscht eine drückende Stimmung, man weiß als Leser nicht, was wahr ist, was eine Lüge, wer wen belügt und warum. Ich war mir nie ganz sicher, ob Mimi sich das ein oder andere nicht schlicht und ergreifend einbildet, ob sie einen psychischen Knacks hat oder um sie herum tatsächlich eine Ränke nach der anderen geschmiedet wird. Ich konnte das Buch einfach nicht aus der Hand legen, weil ich wissen musste, wer mit wem unter einer Decke steckt und was in dieser gruselig idyllischen Bonner Straße tatsächlich vor sich geht. Und wenn man denkt, jetzt lüftet sich der Nebel, kommt er mit aller Gewalt und neuen undurchsichtigen Ereignissen zurück.

Wer Sebastian Fitzek oder Wiebke Lorenz mag, der sollte bei diesem Buch auf jeden Fall zugreifen. Judith Merchant bekommt es hin, eine Stimmung zu schaffen, die einen beim Lesen immer mal wieder über die Schulter schauen lässt und langsam aber sicher die Frage sät, ob man sich nicht auch mal Gedanken um seine Freunde machen sollte.