Rezension

Gereimte Indianer u.a.

Ein Schuss, ein Schrei - das Meiste von Karl May - Roger Willemsen

Ein Schuss, ein Schrei - das Meiste von Karl May
von Roger Willemsen

Bewertet mit 4 Sternen

Den Westen malte er banal, 
Den Osten bestenfalls trivial 
Wovon er schrieb, das sah er nie: 
Alles bloße Fantasie. 
Zum Lachen ging er in den Keller, 
Deutschlands großer Volksschriftsteller.
Der Autor nutzt Einbildungskraft
Und als Ergänzung Wissenschaft,
und liegen Fakten auch mal schief,
dann werden sie zum Korrektiv,
verquirlt zu einem sanften Blend
aus Spannung, Ernst und Happy End,
gewürzt, das scheint der Zeit normal,
mit Glaubenssätzen und Moral  (Rückentext)

Persönlich kenne ich nur Winnetou und Old Shatterhand – in Form von Pierre Brice und Lex Barker. Soll heißen: Ich habe noch nie ein Buch von Karl May gelesen. Und doch habe ich mich mit diesem Buch köstlich amüsiert.

Willemsen reimt nach dem altbewährten Motto: Reim dich oder ich fress dich! verfällt dabei aber auf geniale Wortpaarungen.
Aus Winnetou II: (Winnetou spricht)
„Seinen Seelenfrieden will er?
Soll er kriegen, N’tscho Tschis Killer“,
sagt er zu Old Shatterhand,
der dieselben Sorgen kennt:
„Wenn ich nur noch einen totschieß,
wird’s der Mörder sein N’tscho Tschis.“ (S. 48)

Um dem Rhythmus zu folgen, muss man manche Verse laut lesen. Der Rhythmus stimmt, doch die Silbenbetonung folgt nicht immer dem Duden. Gerade diese Späßchen vergnügen beim Lesen. 

Dabei verwendet der Autor des Öfteren Anachronismen oder Bezüge zur Gegenwart, wenn er z.B. in „Der Ölprinz“ reimt:
„So lässt sich Bankier Rollins raten
nur von Ölscheichs und Magnaten,
denn er sucht die rechte Stelle
für die Öl- und Schwarzgeldquelle.“ (S. 103)

Willemsen behandelt Karl May nicht von oben herab; lustig macht er sich allenfalls über dessen moralischen Dünkel. 
Aus Winnetou III:
„Indes am allerbesten ist:
Winnetou wird endlich Christ,
und er findet seine Ruh
nicht im Schoß des Manitu,
sondern orientiert sich seelisch
ganz zuletzt noch evangelisch
oder, weil er melancholisch,
doch am Ende noch katholisch.
Engel singen: Gerade du, ja,
du verdienst mit Hallelujah,
ohne Bimbes und Bestechung,
ebenfalls die Seligsprechung.
In dulci jubilo
und Santo subito!“ (S. 56/57)

Besonders erwähnenswert sind die fantasyartigen Illustrationen von Michael Sowa. Ein bisschen Frühromantik eines Caspar David Friedrich, dazu Rousseau’sche Urwaldmalerei, vermischt mit naiven Motiven. Und das Ganze thematisch den Romanen Karl Mays angepasst. 

Ein vergnügliches Lese- und Bilderbuch der besonderen Art. Nicht nur für Karl May-Kenner.