Rezension

Geschichten aus dem Dschungelbuch

Das Dschungelbuch - Rudyard Kipling

Das Dschungelbuch
von Rudyard Kipling

Bewertet mit 5 Sternen

Ich mag Disney-Filme. Wirklich. Aber ich mag nicht, was sie so manchem Buch angetan haben. Bis zur Unkenntlichkeit verzuckert, kennt kaum noch jemand die ursprüngliche Vorlage. Die Kinderklassiker-Reihe von Dressler verschafft Abhilfe. Man erhält dort nicht nur die Bücherreihe von Pamela L. Travers zu einer überaus strengen Gouvernante namens Mary Poppins, sondern auch Rudyard Kiplings "Dschungelbuch". Zwar ist auch dies eine Ausgabe für Kinder, aber sie hält sich weitgehend an Inhalt und Wortlaut des Originals.

Und welch ein Schatz an Geschichten und Liedern ist dort zu entdecken! Natürlich lesen wir von Mowgli, Baloo und Bagheera, aber eben auch von Kotick, einem weißen Robbenmännchen, der sein Leben der Suche nach einem Ort widmet, wo er und seine Artgenossen sicher sind vor dem Zugriff menschlicher Robbenschlächter. Oder von Rikki-tikki-tavi, einem Mungo, der seine Familie vor einem Angriff durch Königskobras schützt. Und von dem Jungen Toomai, der beim Tanz der Elefanten anwesend sein darf. Allen Geschichten gemeinsam ist die Achtung vor dem Wesen und Können der Tiere und die offensichtliche Liebe zur wilden Seite der Natur.

Rudyard Kipling wurde 1865 in Indien geboren und lebte dort bis zum Alter von fünf Jahren. Danach wurde er, wie für die Kinder der in den Kolonien lebenden Engländer üblich, per Schiff nach Großbritannien verfrachtet, um dort zur Schule zu gehen. Der Schock über den Verlust alles Gewohnten, einschließlich der Eltern, muss riesig gewesen sein. Erst mit sechzehn Jahren kehrt er zurück. Bis 1889 bereist er als Zeitungskorrespondent den indischen Subkontinent. "Das Dschungelbuch" entsteht allerdings wesentlich später erst, nach der Geburt seiner ersten Tochter. 1907 erhält Kipling für sein Gesamtwerk den Literaturnobelpreis. Und dürfte der einzige Preisträger sein, der hauptsächlich bekannt ist für ein Kinderbuch. Vielleicht sollte Disney auch die Werke anderer Preisträger bearbeiten?

Was die Erzählungen und Lieder, man darf sie auf keinen Fall vergessen, die Lieder, die jeder Erzählung zugeordnet sind, so besonders macht, ist der meisterhafte Sprachgebrauch. Die Genauigkeit, mit der alles beschrieben wird, die Stimmungen, die Kipling mühelos hervorruft. Man sieht den Dschungel, die Robbenfelsen, den Elefantentanzplatz, hört das Lärmen der Affen, den Wellenschlag, das Trommeln der Elefantenfüsse, riecht das Feuer, den Geruch von Meer und Salzluft. Er ist ein echter Geschichtenerzähler, einer, dessen Gestalten beim Lesen lebendig werden.

Und so ist es im Grunde gar kein Wunder, dass seine Geschichten um Mowgli, das Menschenkind, das im Dschungel aufwächst und den mächtigen Tiger Shir Khan besiegt, die Vorlage wurden für einen der berühmtesten Disney-Filme. Was ich den Machern des Films allerdings nie verzeihen werde, ist, was sie aus Kaa, der mächtigen und weisen Baumpython gemacht haben. Denn die Achtung, die Kipling seinen Lebewesen entgegen bringt und das Wissen um ihr Wesen und ihre Lebensweise, die findet man im Film nicht mehr. Und darum wird es Zeit, dass das wirkliche Dschungelbuch wieder gelesen wird. Damit nicht nur Mowgli, sondern auch Kotick und Rikki-tikki-tavi unvergessen bleiben.