Rezension

Geteiltes Sorgerecht

Höllenjob für einen Dämon
von Helen B. Kraft

Bewertet mit 4.5 Sternen

Dante und Goethe machen einen drauf

Hier wird ja alles auf den Kopf gestellt.
„Unten ist oben und hässlich ist schön- wir sind die Ledermäuse!“- uuups falsches Buch- *Walter Moers ins Regal zurück scheuch. *
Erst einmal kann ich nur unzähligen anderen Rezensionen Recht geben: Das ist eine gelungene Geschichte.
Ich fürchte nur die Autorin kommt dafür ganz bestimmt in die Hölle. So von wegen: ‚Du sollst kein Bild von mir machen‘- ‚Du sollst meinen Namen nich in den Dreck ziehen.‘ und so. Allerdings nehme ich an, das das nicht schlimm is- ist die Hölle doch ein wunderschönes Örtchen.
Ich würde gern meinen Leseeindruck in drei Bereiche gliedern.
Den Anfang, Kapitel 15 und das Ende.
Mir fällt es immer noch schwer EBooks zu lesen, irgendwie komm ich da mit dem Markieren nicht so klar. Bin mir aber ziemlich sicher, das es Kapitel 15 war. Warum ich da so darauf herum reite? Weil Lilith auch gerne auf Shantans Schoß geritten ist- nein Spaß.

Die ersten Kapitel haben mich schlichtweg umgehauen. Zufällig lief im Hintergrund der ein oder andere OST (zB ‚battle with the forces of evil‘ von George Bruns (Sleeping Beauty- Disney)- das muss ich erwähnen, weil ich eine Playlist von komplett unterschiedlichen Interpreten höre und ich ausgerechnet bei dem Lied im Zusammenhang mit dem Buch so richtig weggetreten bin.) Im positiven Sinn, denn der Anfang kommt schon mal daher wie das kleine animierte Video zu einem Lied (den Titel könntet ihr aufgrund der überdeckenden Zensiersternchen eh nicht sehen, also fragt mich zur Not) von Tenacious D. welches eher weniger jugendfrei ist wie dieses Buch. Ich gebe es gern zu, ja, explizite Szenen hätten mich nicht gestört. Runter, runter, immer weiter runter, rot, roter, immer heißer, schwefliger, qualmiger- nur um Shatan bei seinen heiß geliebten Kesseln anzutreffen um ihn dann in den Thronsaal zu begleiten und buckeln zu sehen. Kurz drauf ein Tiramisu mit Adam und wir lernen die Protagonistin kennen. Während Shatan sich später fragen wird, wieso zur Hölle, die Menschen ihre Kinder Adam nennen, frage ich mich zeitgleich: und wieso nennen sie sie Eva-ngelina? Das soll wohl ein Witz sein. Gehört aber wohl dazu- noch lustiger wäre es natürlich gewesen, wenn es ein ganz und gar unchristlicher Name gewesen wäre. Oder einer dessen Urbedeutung: Heide/ Heidin ist. Und Shatan später einen 'Prinzessin Lillifee'- Regenschirm in die Hand zu drücken hätte auch seinen Charme gehabt. (Für Komik war hier und da noch ein bisschen Platz nach Oben, will ich damit sagen.)

Erst einmal aber findet sich in der Einleitung zu Lina schon mal mein persönliches erstes Highlight: Der THW- und für dieses Detail ein herzliches Dankeschön. Ich war zwar selbst nie THW’lerin, kenn aber ein paar und finde das super, das sie mal beachtet wurden! Schnell wurde dann auch klar, das sich hier jemand viele Gedanken gemacht hat und wahrscheinlich jeder einzelne Name in dem großen Ganzen Sinn macht. Der Humor war furchtbar… GUT! „Engel sind nicht böse. Nein. Sie sind tödlich.“ (Seite 47).
An dieser Stelle war ich mir ziemlich sicher, das hier jemand nicht nur etwas über Engel und Dämonen schreiben wollte, sondern ein Vorbild hatte. Seitdem spreche ich von: ‚Höllenjob für einen Dämon‘- ‚eine göttliche Komödie‘. Schnell wird klar das hier aber auch noch ein weiterer Untertitel zugefügt werden muss: ‚Höllenjob für einen Dämon‘- ‚Der göttlichen Komödie- erster Teil‘. Denn der Wettlauf um die Gunst entbrennt heftig zwischen den beiden Fronten Himmel und Hölle. Daran störte mich nur der Umstand, dass Lina von Anfang an einen wirklich verpatzten Eindruck vom Himmelsboten hatte und sich deswegen nur um so genüßlicher der infernalischen Seite zuwandte. Das hätte Er gleich wissen müssen, das Gavarel das Mädel zu sehr einschüchtert, wenn er den Dämon angespitzt in den Asphalt rammt.

Das war mein zweites Highlight, denn ich neige dazu mir manche Dinge sehr bildlich vorzustellen und diese Szene hat mich sehr zum Lachen gebracht- wieso hat davon noch keiner ein FanArt gezeichnet und wenn doch- dann seid doch bitte so gut und schickt mir einen Link, denn für das mürrisch erschöpfte Murren von unterhalb der Straßendecke und einer Punkerin in Lack und Leder mit Piercings die an den Füßen zieht, dafür würd ich nen Quastenschwanz fressen. Um mein Lob mal direkt wieder zu mildern: Quastenschwanz… mit diesem Wort werd ich mich nie anfreunden und es wurde mir persönlich zu oft betont, das es ein Quastenschwanz ist- übrigens das ist ein Schwanz der aussieht wie eine Peitsche mit einer Quaste daran. Auf jeden Fall aber ein sehr faszinierendes Anhängsel welches der elegante selbstbewusste Dämon von heute locker über seinen Unterarm hängen kann, schwingend und pendelnd wie eine Taschenuhr an einer verdammt langen Kette. (Hm… ich höre Stimmen… ich glaub Ravael meinte grad: Nicht fluchen.- Nun, ich hoffe es ist die olle Löwenmähne, weil son Gelichter wie den Metatron kann ich zusätzlich zu all den anderen Stimmen nicht auch noch in meinem Kopf gebrauchen.) Wieso hat der Eumel eigentlich KEINEN Spitznamen abbekommen? Alle haben einen! Josh, Lil, Lina, Shati, Nika,… Vorschlag: Metti- oder Möti?

Der Verlauf der Geschichte ist vollkommen in Ordnung. Lina lässt sich erstaunlich schnell überreden mit einem Wildfremden der einen Schwanz hat und nen Stück Holz vor’m ehm im Kopf, einen lustigen Abstecher in die Hölle zu machen. Na ja irgendwie muss die ja ‚Ja‘ sagen und auch wenn mich das ein bisschen Zähne knirschen lässt, gebe ich gern zu, ich hätt doch auch unter den gegebenen Umständen zugesagt. Es geht ja dann auch so einiges kaputt auf dem Weg. Finde ich gut und richtig. Es gibt dann nur hin und wieder kleine Momente in denen ich mich frage: Warum muss das jetzt sein? Zum Beispiel als Metatron herum sirrt und unbedingt etwas sagen möchte. Lina wird ja später noch merken, das sie den ollen Kerl wieder haben will- höchst freiwillig- aber an der Stelle im Parkhaus mit dem Wachtmeister… warum genau sagt sie erst: Ja, dann komm halt wieder her- und dann will der Polizist auf einmal den Irrwisch aufnehmen? DAS der Beamte die Stimme aufnimmt war mir sofort klar- Shatan kann nicht, Lina will nicht… der hatte einfach das kürzeste Streichholz! Nur hätte Lina nicht vorher resigniert zustimmen müssen.

Denn kommen wir zu Kapitel 15.
Dieses hat mich nämlich enttäuscht. Wohlgemerkt als einziges der gesamten 26 (plus Pro- und Epilog). Um den Finger darauf zu legen, was mir nicht gepasst hat: Indisch. Und ich meine die Sprache in dem Fall. Shatan… war seit ner ganzen Weile nicht auf der Oberfläche- weiß aber das durch den Fernseher gewisse Sünden gefördert werden. Er holt die Seelen immerhin persönlich aus dem Kessel. Was er aber nicht weiß ist was ein TV Gerät ist. Damit kann ich leben- schien für mich einigermaßen plausibel- wenn dir von Sündern nur gequältes Kauderwelsch an den Kopf geworfen wird, liefert er sicher keine technischen Daten oder erklärt dir den Unterschied zwischen Röhre und Plasma. Jedenfalls hat der Dämon auch keinen Automobilführerschein und hält sich brav dran anderen das Steuer zu überlassen! Alles soweit so gut. Aber dann- dann kommt es zu der Szene mit dem Inder. Und auf einmal behauptet dieser Dämon doch glatt er könne Indisch.

Und das reicht ja nicht- nein er sei ja ein Dämon, er könne ALLE Sprachen. Was? Warum denn? Ist das überhaupt nötig? Ich denke nicht. Sein Dasein hat viele Einschränkungen seitdem er kein Seraph mehr ist- aber Sprachen können, das geht? Wohlgemerkt menschliche Sprachen, die sich immerhin auch über die Jahre verändern. Das war mir nicht geheuer und war absolut nicht nötig. Der Inder an sich war merkwürdig grenzdebil. Außerdem hab ich das mit dem ‚wahren Namen‘ nicht verstanden, da das nirgendwo sonst auftauchte- außer bei Josh, Jehova und Lil (allerdings hatte ich dort eine klare Vorstellung davon was ihre wahre Namen bedeuten). Und als letztes Manko weiß kurz drauf Lina auch noch, das sie in Gegenwart des Inders lieber nicht die Hölle erwähnen sollte. Hm- woher jetzt genau- während sie sich gegenseitig darüber mokieren das jeder einen weiteren ‚Freund‘ mit ins Spiel gebracht hat? Und kurz vorher… warum fahren die jetzt alle zu Josh? Wenn es doch Shatis größte Sorge ist zurück zu Lina zu kommen, nach der höchst unfreiwilligen Trennung voneinander, wieso geht er dann als erstes zu Lil und Josh? Das hatte für mich keinen schlüssige Herleitung.

Kommen wir also zum weit erfreulicheren Teil- der zweiten Hälfte.
Meiner Meinung nach hervorragend gelungen und über diesen Teil gibt es jetzt auch gar nicht zu viel zu verraten, außer das ich mir habe sagen lassen, das Gott nun wirklich nicht immer lieb war. Ich finde so heuchlerisch ist das alles gar nicht, bedenkt man das Opfern des Erstgeborenen, Seuchen, Plagen und Fluten, diverse Rauswürfe aus dem Paradies und noch allerhand andere angebliche Eingriffe. Mich hat es nicht wirklich erstaunt, den Allmächtigen mal nicht als milden Opi zu sehen, sondern als das was er ist- er hat die Macht und er nutzt die Macht- macht doch auch Sinn! ALLMACHT nicht: ich tu damit aber nur Gutes. Tatsächlich hat es mich sogar soweit gebracht das ich ihn beschimpft hab'. Und dafür geh' ich auch am Sonntag wohl lieber in den Beichtstuhl obwohl ich evangelisch bin (wir haben hier nur eine katholische kleine Kirche im Dorf gelassen). Denn ich habe mich definitiv dazu hinreißen lassen mit zu schimpfen.

Es ist übrigens sehr schwer, wenn ein Dämon kein Herz hat, Beschreibungen wie: ‚aus tiefstem Herzen‘- ‚aus vollstem Herzen - ‚aus ganzem Herzen‘ zu umgehen, wenn man nicht jedes Mal unnötigerweise darauf hinweisen möchte, das da nur ein kaltes Loch ist. Erst konnte ich mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, wenn jemand kein Herz hat, dann hat er auch kein Ehrgefühl, keine Zurückhaltung, keine Höflichkeit, keine Freundlichkeit… er kann doch nicht lieben! Aber ich habe mir das zu Herzen genommen und gebe der Autorin Recht: Es ist ja vielleicht nicht das Herz, vielleicht reicht die Seele um all das zu halten, was einen weiter machen lässt.

Weitermachen… ja… es gab eine ‚Geschichte‘ in der Geschichte die mich auch sehr berührt hat, die vergewaltigte Mutter die beim Unfall ihre Familie verliert und in der Hölle landet. Das war hart. Und dennoch zeichnet sich in diesem Roman ein völlig verdrehtes Bild. Sich das Leben seines Kindes wünschen: schlecht. Oralverkehr: in Ordnung. Es gibt Dinge über die habe ich bis ich dieses Buch gelesen habe, nie nachgedacht. Aber ich halte es für einen gelungen Kniff den All-mächtigen nicht all-ein zu lassen, sondern ihm eine Familie unterzujubeln. Ja Streckenweise kam er mir sogar vor wie gewisse andere Götterväter. Vor allem aber eines: verletzlich! Und das bringt mich dazu ihm zu vergeben, ja ich vergebe ihm diese ganze Chose von wegen Luzifer und Lina. Und ich finde es echt toll das die Charaktere nicht nach Schema F agieren, sondern in der Lage sind aus ihren Wegen auszubrechen. Ich glaube nur kein Stück, das Er Shatan unterschätzt hat oder nicht auf der Rechnung hatte.
Das Geplänkel am Ende war allerdings unnötig. Shatan heult mir da ein wenig zu viel unnötigerweise rum und warum das auf einmal einen Ortswechsel nach Irland brauchte, erschließt sich mir auch gar nicht. Davon war vorher nie die Rede!

Fazit:

Da ich nicht sehr tief gläubig bin, stimme ich dennoch der allgemeinen Annahme zu: Er hat nen Plan- irgendwer muss ja einen Plan haben. Und wenn man bestimmten Schwingungen lauscht, dann besteht der einzig und allein darin, das das Wichtigste die Nächstenliebe ist und ich ziehe für mich eine Lehre aus dieser Höllenfahrt: Leute die mit sich selbst reden werden gefälligst mit entsprechendem Respekt behandelt!- Es könnte ja sein, das Metatron drin sitzt. (Selbiges gilt auch für Ziegen.) Und Leute die mit einer Schachspielfigur in der Stirn rumlaufen, kommen einem zu Hilfe, während man von Vogelmännern tunlichst Reißaus nehmen sollte.

Die Strafe Gottes für das ganze Hickhack finde ich super- es erinnert mich an die Sage in der das Mädchen auch die Hälfte des Jahres zu ihrem Gemahl in die Unterwelt musste.- Ein GUTES Ende- geteiltes Sorgerecht- modern aber wirksam. Ich will jetzt jedenfalls auch nicht mehr ins hoch gelobte Paradies- voll öde da- und ich finde es nicht gut, das man da mit Punkern nichts anfangen kann und keine Haarnadeln tragen darf! Wenn doch da alles perfekt und wattig tuffig easy- going ist, wovor hat man dann da oben Angst wenn es um Waffen geht? Heißt das ich darf da dann auch nur noch mit einem Löffel essen? Heißt das ich bekomme da kein Steak? Das wäre nicht gerade paradiesisch. Kommt zur dunklen Seite- wir haben… es wenigstens warm. Der Garten Eden wirkt dagegen wie eine klinisch reine Bühnenkulisse mit umklappbaren Pappbäumen.
Und da wir grad bei der Klinik sind. Das war eine echt miese Aktion- das tat beim lesen mehr als weh! Mach das nie wieder! Wirklich, an der Stelle hat sich mir der Magen umgedreht und ich hab spontan meine Menses bekommen, nur um kollegial mitzuleiden.

Ein 'Haifischgrinsen'- Urteil: sehr gelungen.

Tipp: Die Lesekatzen Interviews mit Shatan und Lilith!