Rezension

Großartig

Für niemand - Tobias Elsäßer

Für niemand
von Tobias Elsäßer

Das Leben meint es nicht immer gut mit den drei Jugendlichen Nidal, Sammy und Marie. Alle drei haben in ihrem Leben Erfahrungen machen müssen, die sie nicht mit sich vereinbaren können. Im Alltag tragen sie eine Maske, die sie niemals ablegen. Zu groß ist die Angst vor Abweisung und Unverständnis.
Nidal eröffnet einen Chat, an dem er jedoch nur Sammy und Marie teilnehmen lässt, denn sie haben seine Ansprüche erfüllt. Sie dürfen mit ihm gemeinsam sterben.

Was sie dabei nicht ahnen: Yoshua, ein weiterer Jugendlicher, hat sich in das Chatsystem gehackt und nimmt als stiller Beobachter an ihren Gesprächen teil. Aber ist er auch dazu in der Lage, Nidal, Marie und Sammy zu retten?

Wow, was für ein Buch!
Tobias Elsäßer hat mit “Für niemand” ein absolutes Meisterwerk geschrieben, dass mich von der ersten Minute an fesseln, schockieren und begeistern konnte.

Eigentlich wollte ich das Buch zunächst nur kurz anlesen und es dann für später aufheben, allerdings konnte ich nach nur wenigen Seiten schon nicht mehr aufhören.

Der Schreibstil ist grandios. Die Geschichte wird sehr einfühlsam und wortgewandt in mehreren Episoden erzählt. Was zunächst ein wenig wirr erscheint, macht im Verlauf der Geschichte immer mehr Sinn und immer mehr erkennt man, wie gut sich doch alles zusammenfügt.
Obwohl das Thema direkt auf den ersten Blick klar ist, kommt doch alles anders, als man denken könnte. Kein einziges Kapitel war vorhersehbar.

Die Sätze sind recht kurz, aber dafür sehr intensiv. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Nidal, Marie, Sammy und Yoshua geschrieben, allerdings kommen auch andere Personen, wie Psychologen, Journalisten oder auch Nidals Freund Patty zu Wort.

Die Charaktere wirken lange unnahbar und ich habe ihre Vorgehensweise nicht durchschaut, doch je mehr man von ihnen erfährt, desto besser konnte ich sie in mein Herz schließen. Ihre Gedanken sind zum Teil sehr wirr, aber am Ende macht alles Sinn.
Vor allem Sammy ist mir in dieser Geschichte ans Herz gewachsen. Von allen ist sie die lebhafteste und legt viel Sarkasmus an den Tag. Aber auch Maries Gedanken und Vorgehensweisen haben mich zum Teil beeindruckt, aber auch schockiert.

“Sie schließt kurz die Augen. Pulsierende Schmerzen schieben in Wellen durch ihren Körper. Sie fragt sich, ob diese Schmerzen tatsächlich existieren. Vielleicht ist es wie bei einem Menschen, dem man ein Bein amputiert hat. Phantomschmerzen. Brennend. Unsichtbar, aber dennoch vorhanden. Und wenn das Leben eine Täuschung ist? Wenn sie das alles nur träumt? Die Gerüche, die Farben, die Gebäude, ihre Familie. Seltsamerweise macht ihr diese Vorstellung Hoffnung. Alles nur ein Spiel, denkt sie. Alles nur ein großes Theaterstück. Und jetzt ist es an der Zeit, für die letzte Rolle vorzusprechen…” [Seite 41]

Interessant ist auch die Vorgehensweise, wie die Jugendlichen untereinander kommunizieren. Während Yoshua lediglich ein stiller Beobachter ist und ständig darauf wartet, dass die anderen wieder miteinander chatten, verbieten sich Marie, Sammy und Nidal gegenseitig, anderweitig Kontakt zueinander aufzunehmen. Auf der einen Seite sind sie neugierig aufeinander und interessieren sich für ihre Beweggründe, auf der anderen Seite wollen sie aber selbst nichts preisgeben und sich erst recht nicht vorher treffen, da sie die Angst haben, sich evtl. anzufreunden und so wieder etwas zu entdecken, für das es sich zu leben lohnt.

Die Covergestaltung ist schlicht und bildet eines der Mädchen ab. Besonders passend ist hier der leere Blick des Mädchens, dass sehr gut für die Einstellung und das Leben der einzelnen Protagonisten steht.

“Für niemand” behandelt das Thema Selbstmord mit dem nötigen Respekt und schockierte mich zutiefst. Empfehlenswert ist dieses Buch jedoch nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene, denn dieses Thema geht jeden von uns etwas an. Unbedingt lesen!