Rezension

Gut, aber nicht Diana Wynne Jones bestes Werk

Die verborgene Geschichte des Tom Lynn -

Die verborgene Geschichte des Tom Lynn
von Diana Wynne Jones

Bewertet mit 3.5 Sternen

Auf dieses Buch habe ich mich schon seit der Ankündigung gefreut, ich kann einfach nicht genug von Diana Wynne Jones bekommen und freue mich tierisch über jede Neuauflage ihrer Bücher, die ich im Knaur Programm entdecken kann. Daher wanderte das Buch direkt nach Erhalt auf meine Leseliste.

Zwei Träumende, die sich finden
Schon der Beginn der Geschichte hielt ein paar Überraschungen für mich bereit: Zum einen war ich überrascht, dass das Buch in der gegenart (naja, zumindest die Gegenwart der 80er, als es erschien) und unsere Welt spielt. Irgendwie hatte ich angenommen, es würde wie die Howl Saga in einer fiktiven Welt spielen. Die zweite Überraschung war, dass die Polly der Gegenwart zwar 19 ist, sie ihre Geschichte aber 9 Jahre früher beginnt zu erzählen. Wir begleiten also zunächst die zehnjährige Polly und sehen damit die Welt durch die Augen eines Kindes. Daran musste ich mich zunächst gewöhnen, doch schnell zeigt sich, dass diese Perspektive gerade erwachsenen LeserInnen viel bietet, denn die zehnjährige Polly nimmt die Welt auf eine Art und Weise war, wie es viele Erwachsene vergessen haben, nämlich mit Lebensfreude und einer sprudelnden Fantasie. In Tom Lynn findet Polly dann durch Zufall einen Seelenverwandten, der ihre Freude an Geschichten und dem Träumen teilt. Und der ihr ein Freund und eine Stütze ist, wo es ihr Vater, der jede Verantwortung scheut und ihre Mutter, die nur das eigene Glück sucht, nicht sind.
In manchen Rezensionen habe ich gelesen, dass manche die Beziehung, der beiden seltsam bis unangemessen fanden, kann das aber nicht wirklich nachvollziehen. Klar, der Altersunterschied ist groß, aber die Beziehung zwischen Tom Lynn und der jungen Polly bleibt zu aller Zeit platonisch freundlich. Es sind zwei Menschen, die eine Leidenschaft zur Fantasie, Literatur und dem Träumen teilen und einander halt geben, da es ihr jeweiliges Umfeld es nicht tut.
 
Vom Älterwerden und der Macht der Fantasie
Doch auch wenn Tom Lynn und Pollys Verbindung zu ihm eine zentrale Rolle in diesem Roman spielen, ist dieses Buch doch eigentlich entgegen dem Titel nicht Tom Lynns Geschichte, sondern Pollys. Sie schildert und ihre Erinnerungen von dem Tag an, an dem sie als zehnjähriges Mädchen Tom das erste Mal traf, bis hin zu ihrem gegenwärtigen neunzehnjährigen Selbst, das auf dem Rückweg nach Oxford ist. Der Roman umfasst also eine Zeitspanne von fast zehn Jahren, in der wir Pollys Leben mitverfolgen. Wir erleben als LeserIn, wie sie von einem Kind, zum Teenager, zur jungen Frau aufwächst. In vielerlei Hinsicht ist das Buch daher eine klassische Coming-of-Age Geschichte, die vor allem deswegen überzeugt, weil Jones es meisterlich versteht, das Älterwerden und die damit einhergehende Entwicklung, die Polly durchlebt, spürbar und doch subtil zu schildern. Manche typische Dinge, die mit dem Älterwerden einhergehen, wie sich ändernde Interessen oder Freundschaften, sie sich auseinanderleben sind offensichtlich, andere Entwicklungen Pollys sind subtiler, wie zum Beispiel die Art, wie sie ihre Umwelt wahrnimmt, wie sie Menschen begegnet oder auch wie sie sich selbst reflektiert.

Vor diesem Hintergrund rücken tatsächlich die fantastischen Elemente des Romans in den Hintergrund, was ich ein bisschen schade fand, da Jones in Das wandelnde Schloss bereits gezeigt hat, dass sie eine großartige Coming-of-Age Geschichte auch mit allerhand Magie schreiben kann. Auch muss ich zugeben, dass ich zwar objektiv betrachtet diese Coming-of-Age Geschichte literarisch gut gemacht finde, der Funke bei mir aber trotzdem nicht ganz übersprang. Ein paar Passagen aus Pollys Alltag hätte man meiner Meinung nach kürzen können und an der ein oder anderen Stelle hätte ich mir einfach etwas mehr gewünscht. “Was mehr?”, fragt ihr euch jetzt vielleicht, aber eine genaue Antwort kann ich darauf gar nicht geben, da ich es schwerlich in Worte fassen kann. Etwas mehr Pepp, etwas mehr wow, ein Funken, der die Geschichte mit noch mehr Leben füllt. Ich weiß, das ist alles ziemlich schwammig, aber besser kann ich mein Gefühl, nach der Lektüre nicht ausdrücken.

Fazit:
In Die verborgene Geschichte des Tom Lynn zeigt Autorin Diana Wynne Jones wieder, was für ein Quell der fantastischen Ideen sie ist und was für ein Händchen sie für Coming-of-Age Geschichten hat. Trotzdem ist das Buch im direkten Vergleich mit z. B. der Howl Saga etwas schwächer, denn es hat kleine Längen und es fehlt ihm der letzte Pepp, damit der Funke wirklich überspringt. Nichtsdestotrotz kann ich schon jetzt das hoffentlich nächste kommende Buch von ihr im Knaur Programm kaum abwarten.

Hinweis: In meinem eigenen Bewertungsystem auf meinem Blog hat das Buch 4/6 bekommen.