Rezension

Gut recherchiert und packend geschrieben

Angstmörder - Lorenz Stassen

Angstmörder
von Lorenz Stassen

Bewertet mit 4 Sternen

Einzelbewertung

Plot: 4/5
Atmosphäre: 4/5
Charaktere: 3/5
Spannung: 4/5
Showdown: 4/5
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Behinderten Menschen kommt oft der Charme eines Autounfalls zu – sie werden mit Mitleid angestarrt. Dabei wollen Menschen mit Behinderung nur eines sein: Menschen. Gleichberechtigt und barrierefrei behandelt, ohne mit schräg gehaltenen Kopf angesehen zu werden. Nur so kann Inklusion langfristig gewährleistet werden. In Lorenz Stassens Thrillerdebüt nimmt das Thema Behinderung einen breiten Raum ein – aber davon abgesehen ist „Angstmörder“ auch ein verdammt gutes Buch.

Nicholas Meller ist ein mäßig erfolgreicher Strafverteidiger, der mehr schlecht als recht über die Runden kommt. In erster Linie vertritt er vor Gericht osteuropäische Autoschieber, die er auch nur vertreten darf, weil sie von anderen – erfolgreicheren – Anwaltskanzleien zu ihm geschickt werden. Dabei ist Meller ein Vorzeigerusse. Als Kind kam er von Sibirien nach Deutschland und hat sich dann perfekt in die deutsche Gesellschaft integriert. Andere Russen, dessen Kontakt der klaustrophobe Meller bis auf wenige Ausnahmen vermeidet, werden in der Geschichte als schlecht integriert, mit einem Hang zur Kriminalität, dargestellt. Neben der bildhübschen Referendarin Nina bekommt er auch seinen ersten Mordfall und betritt damit völliges Neuland – auch bei Nina. Denn mit deren angeborener Behinderung kommt er anfangs so gar nicht, aber immerhin besser als andere Russen in der Geschichte, klar. Doch Nina ist selbstbewusst und tough und weist Meller darauf hin, wenn er sich ihr gegenüber tollpatschig verhält – etwa wenn sie Umzugskartons zusammenbasteln soll. Sie macht es eben auf ihre Weise und behält dabei ihren Stolz.

In einem anderen Strang lernt man Christine kennen. Sie ist vor kurzem von Nordhorn nach Köln gezogen, weil sie von ihrem Freund im Internet bloßgestellt wurde und sie dringend einen Tapetenwechsel benötigte. Christine ist Krankenschwester in der Ausbildung zur Intensivpflegerin. Außerdem bekommen wir, anfangs vage, später intensiver, Einsichten in das Handeln des Täters. Besonders Letzteres fand ich irrsinnig interessant. Aber auch wie Stassen das Behindertenthema behandelt, finde ich sehr spannend; vor allem, weil man Menschen mit einer so speziellen Behinderung nur selten in Thrillern begegnet, überhaupt mit der Detailverliebtheit, mit der sich der Autor am Thema abarbeitet. Generell ist die Geschichte ausgezeichnet recherchiert, das merkt man vor allem bei den zahlreichen und sehr speziellen Themen, die in der Geschichte vorkommen. Ich kann sagen, dass sie ausgezeichnet recherchiert sind, weil ich mich mit einem der Themen zufällig auskenne und davon ausgehe, dass die anderen Themen ähnlich gut recherchiert sind.

Insgesamt macht „Angstmörder“ von der ersten bis zur letzten Seite Spaß, auch wenn Stassen mir beim Täter ein paar Stereotypen zu viel eingebaut hat, aber das kann man angesichts der restlichen Geschichte verschmerzen. „Angstmörder“ ist ein Justizthriller, ohne trocken zu sein; ein Thriller, der das Rad zwar nicht neu erfindet, aber die besten bekannten Elemente des Genres her nimmt, sie zusammensetzt und daraus einen überdurchschnittlich guten Thriller bildet.

Tl;dr: „Angstmörder“ ist ein exzellent recherchierter und packender Thriller, der zwar das Rad nicht neu erfindet, aber durch die Aufbringung des Behindertenthemas, das breiten Raum einnimmt, doch ein Stück weit outstanding ist.