Rezension

Hauptsache: Geld

East Side Story - Louis Auchincloss

East Side Story
von Louis Auchincloss

Eine mitreißende Familiensaga, die den New Yorker Patrizier-Clan Carnochan über anderthalb Jahrhunderte hinweg durchleuchtet und zerfetzt. Am Modell der Carnochans, auf die das Geld stets wirkt wie ein Enzym, ergründet Auchincloss die innere Dynamik der amerikanischen Oberschicht.

Die Chronik einer Familie, die an der East Side lebt. Also dem Viertel der WASP, wie man heute sagen würde. Die Söhne werden auf Eliteschulen geschickt, die Töchter reich verheiratet, mehr kann man als Eltern für seine Kinder nicht tun.
Nach der Ausbildung werden die meisten Söhne Rechtsanwälte oder finden sich in artverwandten Berufen wieder (darin kennt der Autor sich aus), und die Frauen führen ein großes Haus mit Kindern, Gästen und karitativen Aufgaben.

Der Autor geht nicht chronologisch vor, sondern springt in den Generationen vor und zurück. Das heißt aber: Er fügt eine komplexe Geschichte aus Einzelbildern zusammen.
Gut, dass ein Stammbaum vor dem Text zu finden ist, um nachzuschlagen, wer denn jetzt an welchem Zweig der Familie an welcher Stelle zu finden ist. Noch besser wäre allerdings ein Stammbaum mit Geburts- und Todesjahren.

Aus den Lebensgeschichten der einzelnen Familienmitglieder werden richtungsweisende Episoden erzählt. Mal geht es um den Beruf, mal um die Heirat oder die Kinder, mal setzt sich ein Lebenslauf in dem eines anderen fort, mal kreuzt der eine den anderen.

Man bekommt als Leser ein Gefühl oder eine Ahnung für das, was diese Familie im Innersten zusammenhält: Geld und Ansehen für die Frauen, Geld, Ansehen und Karriere für die Männer. Selten schert einer aus. Und wenn, dann handelt es sich meist um ein vorübergehendes Intermezzo.

Auch wenn der Autor die einzelnen Personen markant charakterisiert, wirbeln sie im Kopf des Lesers umher und mehr als einmal nimmt man den Stammbaum zurate: Wer war noch mal derjenige, der im Krieg gefallen ist? Wer hatte die Frau geheiratet, die er nicht liebte, die aber mehr Geld besaß als die geliebte Frau? Wer war der Kinderlose, wer derjenige mit einer ganzen Schar?
Diese Verwirrung entsteht m.M.n. dadurch, dass die Personen keinen Platz in einer Gesamtgeschichte bekommen, wo sie nicht nur durch ihre Art, sondern auch durch ihre Handlungen im Gesamtgefüge ein Gesicht hätten.
Hier wird das Gesicht zwar kurz gezeigt, aber – husch – ist es wieder weg, und ein anderes kommt.

Auch wenn dies alles bedenklich klingt: Ich habe das Buch gern und interessiert gelesen, auch wegen der historischen Hintergründe und der gesellschaftlichen Veränderungen. Aber wenn die „Zeit“ laut Covertext schreibt: „Louis Auchincloss wird die Gore Vidals und Tom Wolfes und Norman Mailers überdauern“, dann halte ich dies für eine gewaltige Übertreibung. Und eine Geringschätzung der anderen Autoren, die es alle – Überraschung!!! – anscheinend mehrmals gibt.

Anscheinend hat Auchincloss mehrere Romane so angelegt wie diesen, und sein Thema auch nicht weiter variiert. Liest man den Klappentext zu "Die Manhattan-Monologe" könnte man die beiden Bücher für ein und dasselbe halten, das unter zwei Titels erschien. Doch der Name der High-Society-Familie ist ein anderer. Wäre der Verlag bei der Veröffentlichung ein bisschen auf Zack gewesen, hätte er die Formulierung des Klappentextes einfach recyceln können.