Rezension

Hilfestellung für Nicht-Betroffene

Ich kann nicht anders, Mama - Caroline Wendt

Ich kann nicht anders, Mama
von Caroline Wendt

Bewertet mit 4 Sternen

Ich muss sagen, dass ich am Anfang durchaus interessiert, aber doch sehr skeptisch war. Ein Buch einer Mutter über ihre essgestörte Kinder? Hmm, ich konnte mir nur vorstellen, dass sie sich als Opfer sieht, ihre Mitbeteiligung stark von sich weist und diese fälschlicherweise als Schuld definiert, was die Autorin auch am Anfang des Buches ansatzweise tut. Das hat mich zunächst ein bisschen geärgert.

Ich bin (ehemals) Betroffene und dazu noch Ernährungsberaterin und habe von daher einen anderen Blickwinkel, eher den der Therapeuten oder auch den der Zwillinge Anna und Marie, die im Buch selbst zu Wort kommen (wenn auch indirekt über Tagebucheinträge und Briefe), was ich sehr gut finde. Auch gefällt mir der Anhang über allgemeine Dinge ausnehmend gut, denn dieser ist von einem Klinikarzt verfasst worden und recht objektiv, da dieser nicht an der Behandlung der Familie Wendt beteiligt war.

Nun habe ich das Buch zu Ende gelesen und muss zugeben, dass die Mutter sich entwickelt und ihre Sichtweise zunehmend korrigiert. Sie unterliegt zwar nach wie vor dem Irrglauben, dass eine Essstörung wie Magersucht keine Sucht i.e.S. und durchaus "heilbar" ist (sie geht davon aus, dass ihre Kinder es "geschafft" haben und vergisst dabei, dass eine Essstörung einen ein Leben lang begleitet, weil man zwangsweise ein Leben lang mit Essen konfrontiert ist und es immer die Funktion eines Ventils behält), aber ansonsten kommen alle wichtigen Punkte zur Sprache und werden von allen Seiten beleuchtet. Dies betrifft sowohl das Krankheitsbild als solches, als auch dessen Ursachen und Methoden der Bewältigung.

Das Buch kann eine große Hilfe für Angehörige sein - nicht jedoch für Betroffene, fürchte ich, da es mehr auf eine Hilfestellung für die Eltern bzw. explizit für Mütter von Betroffenen abzielt. Betroffene werden zwar dazu angehalten, sich therapeutische Hilfe zu holen, aber dies wird zu sehr am Gewicht festgenagelt, was ich persönlich ablehne. Ich bin der Meinung, dass man auch mit (unterem) Normalgewicht in der Spirale der Magersucht gefangen sein kann und hier eine Therapie deutlich bessere Ansatzpunkte hat. Wenn erst mal ein massives, wenn nicht gar bedrohliches Untergewicht erreicht ist, sind die Betroffenen geistig-psychisch nicht mehr therapiefähig und es kann nur noch darum gehen, mit künstlicher Energiezufuhr ihr Überleben zu sichern, was therapeutisch für die Psyche ein zweifelhaftes Vorgehen ist, wenn auch physisch unabdingbar. Soweit darf bzw. sollte man es nicht kommen lassen, auch wenn meist erst an diesem Punkt der Leidensdruck eine Stärke hat, die die Betroffenen einsichtig werden lässt.