Rezension

Humorvoller Rückblick

Leninplatz - Mark Scheppert

Leninplatz
von Mark Scheppert

Bewertet mit 4 Sternen

„...Es gibt über die DDR – gemessen an ihrer damaligen Einwohnerzahl – Millionen Erinnerungen. Dies sind meine ureigenen; ich bin sozusagen nur ein Blatt im Dschungel von Deutungen über dieses Land. Meine Geschichten sollen nichts verniedlichen, verharmlosen oder überhöhen...“

 

Diese Worte des Autors stehen fast am Ende des Buches. Davor befinden sich 25 kurze Geschichten über das Leben eines Jugendlichen in der DDR und speziell in Berlin. Danach folgen nochmals vier besondere Erzählungen. Doch darauf komme ich später nochmals zurück.

Auf humorvolle Art schildert der Autor seinen Alltag. Es beginnt im Jahre 1984, als er dreizehn Jahre alt ist.

Der Schriftstil lässt sich gut lesen. Das liegt vor allem an der alltagstauglichen und zeitgemäßen Sprache, aber auch den unterschwelligen Humor, der dem Ganzen eine leichte Note gibt. Wer allerdings nicht im Osten aufgewachsen ist, wird für einige Begriffe Google bemühen müssen. Bei mir dagegen kamen Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend hoch.

Auf die eine oder andere Erzählung möchte ich näher eingehen. Es ist verständlich, wenn ein Dreizehnjähriger keine Lust mehr hat, mit Mutter und kleinem Bruder den Zirkus zu besuchen. Obwohl es ab und an so anklingt, als wäre Benny, der kleine Bruder, nur eine Nervensäge, spricht doch aus manchen Satz die Zuneigung zu ihm. Benny sorgt für Abwechslung und ist noch nicht vom Ernst des Lebens geprägt. Bei Mark dagegen nimmt das Interesse an Mädchen zu. Das einzige, was mich etwas gestört hat, ist der im der Laufe der Zeit reichhaltige Alkoholkonsum. Allerdings darf man dabei nicht übersehen, dass im Zentrum der Handlung vorwiegend Mark und seine Jungsclique stehen. Und das Besorgen von alkoholischen Getränken war in Kleinstädten wesentlich kompliziertere als in Berlin.

Zu meinen Lieblingsgeschichten gehört „Schrottreif“. Ein Mercedes Benz hatte einen Unfall und wird am Straßenrand abgestellt. Was dann passiert, liest sich im Buch so:

 

„...Automobile, die wie ein Raumschiff von einem anderen Stern, silberfarben leuchten, werden auch in der Hauptstadt der zehntstärksten Industrienation ganz schnell in Volkseigentum umgewandelt...“

 

Natürlich werden auch die Schattenseiten der Mangelwirtschaft ins Visier genommen. Das wird besonders deutlich, als eine Urlaubsreise nach Ungarn ansteht. Die beiden Jungen haben einen Nachmittag zum Stadtbummel für sich. Mark äußert darüber:

 

„...Noch nie haben wir so viele Sachen gesehen, die wir brauchen...“

 

Wie schon gesagt, haben die vier letzten Geschichten einen anderen Hintergrund. In einer beschreibt der Autor, wie das Leben eines gleichaltrigen Mädchens ins Westberlin vonstatten gegangen wäre. Gekonnt werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Eine weitere Geschichte widmet sich dem Heimatgefühl seiner Mutter in der Straße bis ins hohe Alter.

Die letzte Geschichte ist etwas Besonderes. Das zeigt sich schon am geänderten Schriftstil. Der Autor sitzt am Bett seines Vaters und weiß, dass sich dessen Leben in wenigen Minuten zu Ende neigen wird. Dabei erinnert er sich an gemeinsame Erlebnisse. Die Geschichte führt von der Gegenwart in die Vergangenheit. Sind es anfangs größere Zeitsprünge, geht es in der Kindheit Jahr für Jahr zurück. Es ist ein Rückblick in Dankbarkeit zum Vater und Achtung vor dem Leben des Vaters.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Ein weiteres Zitat soll mein Rezension beschließen:

 

„...Allerdings weiß ich, mit dem Abstand von Jahrzehnten, dass ich eine sehr fröhliche Kindheit und Jugend verlebt habe, mit dem Glück, mit 18 Jahren die Wende und den Mauerfall miterlebt zu haben, sodass mir einige hässliche Dinge […] erspart geblieben sind...“