Rezension

Identität, Klasse, Herkunft, Traumata und Machtlosigkeit in Nordirland

Close to Home -

Close to Home
von Michael Magee

Bewertet mit 5 Sternen

Was bedeutet es im lange konflikt- und gewaltgebeutelten Nordirland als Kind der Arbeiterklasse aufzuwachsen? Michael Magee erzählt von vererbten Traumata, Gewalt, Armut, Drogenmissbrauch, Vorurteilen und Diskriminierung und immer wieder Machtlosigkeit angesichts einer traumatischen Vergangenheit und einem Gesellschafts- und Sozialsystem, das im Heute dem Individuum beinahe unüberwindbare Grenzen auflegt und ein Entkommen aus der Armuts- und Gewaltspirale damit fast unmöglich macht.

Michael Magee wirft uns direkt in die Geschichte, sein Schreibstil ist flüssig und unmittelbar, erzählt aus der Perspektive von Sean, Anfang 20, aufgewachsen und lebend in einem wirtschaftlich und kulturell benachteiligten Teil von Belfast, in einer republikanischen Familie der Arbeiterklasse. Sean versucht im Laufe des Buchs sich von seiner Herkunft zu emanzipieren, ein gesundes, glückliches, seiner Neigung zur Literatur und zweifelslosen Begabung wie Intelligenz entsprechendes, Leben aufzubauen - und scheitert dabei immer wieder, an seinem Umfeld, seiner Familie, dem Gesellschaftssystem, seiner Herkunft und manchmal auch an sich selbst. Die Ich-Perspektive Seans ist sehr gut gewählt, um den schwierigen Lebensweg und das Milieu nachzuempfinden. Als Leser fühlt man mit Sean, erlebt oft die Ausweglosigkeit seiner Situation, und hofft immer wieder es möge sich irgendwo ein Horizont der Hoffnung auftun, damit Sean sein Potential wirklich leben kann. Ob das gelingen wird?

 Sehr eindrücklich wird immer wieder auch der Nordirland-Konflikt und seine ständige Präsenz im kollektiven Gedächtnis von Seans Familie und Umfeld in die Geschichte eingewoben.

Der liberalen Erzählung vom Aufstieg, in der jeder und jede es schaffen kann, wenn er oder sie sich nur genug anstrengt, setzt Magee ein allzu realistisches Bild einer Gesellschaft entgegen in der selbst härteste Arbeit oft nicht honoriert wird und dem Individuum durch erlebte wie vererbte Traumata, und ein klassenzementierendes Gesellschaftssystem massive Grenzen in seiner Entfaltung gesetzt werden. Damit ist der Roman nicht nur wirklich gute Literatur, sondern auch eine Form von Sozialstudie, die Magee mit Close to Home, hier gelungen ist. Unbedingt lesenswert!