Rezension

Im Prinzip ist das Buch okay

Im Prinzip ist alles okay -

Im Prinzip ist alles okay
von Yasmin Polat

Bewertet mit 3 Sternen

Miryam Topal - sicherlich nicht nur zufällig fast ein Anagramm des Namens der Autorin Yasmin Polat – bekommt in 2019 ein Kind und meint zusammen mit ihrem Partner Robert nun endlich ein gutes leben zu führen. Das der Schein nur trügt, bekommen wir sehr schnell mit. Denn zunächst durch Rückblenden und später auch Gedankenkreise und Verhaltensweisen in der „Gegenwart“ 2019 erfahren wir, dass Miryam bereits seit sieben Jahren immer wieder depressive Episoden durchmacht und sich die Zeit nach der Geburt ihres Kindes nur in seinen Symptomen von anderen, älteren Episoden unterscheidet. Wir begleiten die Protagonistin nun in ihrer Erkenntnisgewinnung und in der Suche nach Auswegen aus ihren depressiven Symptomen und ihrem festgefahrenen Leben.

Zu Beginn stellt sich die Ich-Erzählerin noch wie eine leicht überforderte, an sich selbst zweifelnde Mutter dar, die aber eigentlich doch alles im Griff zu haben scheint. Dabei geht sie einem beim Lesen ihrer ewigen selbstkritischen Gedankenkreisel doch relativ schnell auf die Nerven und stellt dies sogar selbst im Text fest: (S.53)

„…, und ich bin eine miserable, bittere Nervkuh. […] Mir läuft eine weitere Träne die rechte Wange herunter, sein [Roberts] Stress-Kommentar hat mich verletzt. Ich bin für alle einfach immer nur Stress, meine Gefühle sind ja offenbar kleine Vulkanausbrüche, die mein Umfeld umschiffen muss.“

Wenn Protagonistinnen trotzdem sympathisch angelegt sind, würde man an so einer Stelle in einem Bericht ihnen am liebsten zuflüstern „Nein, das bist du nicht, die anderen nehmen dich nur falsch wahr.“ Leider ist es hier aber anders. Miryam ist tatsächlich unglaublich nervig, zeigt damit aber auch gut, wie stark depressive Menschen mit ihren ewigen Selbstzweifeln ihr soziales Umfeld belasten. In diesem Falle hier, sind auch wir, die Lesenden, das soziale Umfeld und bekommen nun mal alles, aber auch alles, was Miryam durchmacht mit. Dafür muss man die entsprechenden Nerven haben. Gleichzeitig liegt aber auch ein gewisser Reiz darin, denn es ist nun einmal eine recht realistische Darstellung. Dies könnte auch daran liegen, dass die Autorin den Roman recht nahe an ihrem eigenen Leben angelegt hat und daher aus eigener Erfahrung berichten kann. Sehr interessant und auch psychologisch plausibel leitet sie mithilfe der Rückblenden her, aus welchem Milieu die Protagonistin stammt, welche Beziehungserfahrungen (sowohl innerhalb der Ursprungsfamilie als auch in früheren Liebesbeziehungen) sie gemacht hat und wie ihre Depression dadurch entstehen und sich aufrechterhalten konnte.

Sprachlich und vom Aufbau her habe ich hingegen mehr mit dem Roman gehadert. Zum einen nutzt die Autorin über das gesamte Buch hinweg immer wieder hippe, englischsprachige Füllworte wie „seriously?“, „literally“, „obviously“, „caps lock“ (als jemand spricht wie „in Großbuchstaben“) usw. usf. Diese Worte könnte ich innerhalb von direkter Rede gut nachvollziehen, wenn die Autorin ein Milieu, in welchem sich die Protagonistin bewegt, darstellen möchte. Da diese Formen aber auch durchgängig im Fließtext genutzt werden und gegen Ende auch ein Paartherapeut als wäre es das Normalste auf der Welt von sog. „Daddy Issues“ spricht, muss ich unterm Strich sagen, dass mir die Nutzung der Anglizismen im Text eher nicht gefallen haben und ich sie mir literarisch nicht vollständig herleiten konnte. Dadurch wirkt es eher, als ob die Autorin ihren eigenen Alltagssprachgebrauch in den Roman hat einfließen lassen. Kurioserweise wirken die genutzten Anglizismen, als ob sie eigentlich besser zu einer zehn bis 15 Jahre jüngeren Person passen würden. Die Protagonistin wie auch die Autorin ist 1989 geboren, klingt aber wie eine Teenagerin oder eine Mitte Zwanzigjährige. Nun ja. Zum anderen wird gegen Ende die Konstruktion der Geschichte durch Rückblenden, die früher als im Jahre 2019 liegen, aufgebrochen und wir springen auf den letzten 60 Seiten noch einmal wild hin und her, in die Zukunft und doch wieder per „Rückblende“, die aber dann nach 2019 liegt, zurück in eine zukünftige Vergangenheit, relativ gesehen zu unserer bisher angenommenen „Gegenwart“ 2019. Und wenn man gerade denkt, jetzt hat die Autorin einen Schlusspunkt gefunden, kommt noch einmal ein Epilog hintendran, der irgendwie unpassend rangeklatscht wirkt. Auf den Seiten vor dem Epilog wird inhaltlich dann auch noch angedeutet, dass eine Depression mithilfe von einem guten, klärenden Gespräch sowie der Hilfe von Ein-Satz-Weisheiten aus den sozialen Medien überwunden werden könnten. Eine Passage, die ich fachlich äußerst kritisch sehe.

Insgesamt finde ich den Roman durchaus gut geschrieben und auch inhaltlich lesenswert. Vor allem die Rückblenden, die die tief verwurzelten Ursachen der Depression von Miryam aufzeigen sind prägnant geschrieben und aufschlussreich. Die Gegenwartsebene empfand ich hingegen häufig als anstrengend und mitunter auch etwas zu weitschweifig in ihren Beschreibungen, hier hätte etwas mehr Verdichtung dem Text gutgetan. Im Prinzip ist das Buch also okay und auch lesenswert für Interessierte, die die oben genannten Kritikpunkte tolerieren können.

3/5 Sterne