Rezension

In der Höhe

Der Tag, an dem Emilio Zanetti berühmt war - Michael Köhlmeier

Der Tag, an dem Emilio Zanetti berühmt war
von Michael Köhlmeier

Bewertet mit 5 Sternen

Michael Köhlmeier erzählt in seiner Novelle, die in den fünfziger Jahren spielt und auf wahren Begebenheiten beruht, die Geschichte des Emilio Zanetti. Scheinbar ohne Grund beginnt dieser eine Schlägerei und wird daraufhin verhaftet. Bei der Überstellung gelingt ihm die Flucht: Als es kein Vor und Zurück mehr gibt, klettert er auf einen Hochleitungsmast. Während sich eine schaulustige Menge versammelt, steigt der zehnjährige Ich-Erzähler zu Emilio hinauf und versucht zu vermitteln. Die Situation spitzt sich zu: Wird Zanetti springen, oder wird er sich ergeben? (Verlagsseite) 

Der 10-jährige Ich-Erzähler, der namenlos bleibt, ein Einzelgänger, von den Eltern distanziert und lieblos behandelt, verbringt seine freie Ferienzeit in Emilio Zanettis Mechaniker-Werkstatt, wo dieser Fahrräder, Haushaltsgegenstände und elektrische Geräte des gesamten Ortes repariert und den Jungen anlernt. Dass beide schweigsam sind, nur das Nötigste miteinander reden, entspricht beider Naturell, und dennoch betrachtet der Junge Emilio als seinen einzigen Freund.
Als Emilio scheinbar grundlos den Steuerberater Vinzenz Manal zusammenschlägt, entzieht er sich der Überstellung ins Gefängnis und klettert einen Strommast hinauf. Der ganze Ort läuft zusammen, um das Schauspiel zu betrachten, aber niemand weiß, wie man Emilio von dort oben herunter locken könnte. Nur der Junge wird aktiv. 

Köhlmeier schafft es, einen kindlichen Protagonisten zu schaffen, der erwachsenen Gedanken nachhängt, ohne dass er altklug oder besserwisserisch wirkt wie das Gros der literarischen Kinder mit erwachsenen Gedankengängen. Wie der Autor das zustande gebracht hat, habe ich nicht herausgefunden.
Eher ist eine große Traurigkeit aus den Gedanken des Jungen zu spüren, dass er sich mit einer Welt auseinandersetzt, in der er sich nicht zuhause fühlt und die ihn nicht achtet. Abgesehen von Emilio. 

In dieser Novelle erweist der Autor sich als Meister der Andeutungen. Warum Emilio den Steuerberater niederschlägt, der erst kurz in Hohenems wohnt und anscheinend mit keinem Nachbarn Kontakt hatte, scheint in einem ganz kurzen Satz auf; kaum zu erkennen, schnell zu überlesen, dennoch klar. (Insofern muss ich der Verfasserin des Verrisses aus der Amazon-Redaktion widersprechen.)
Auch das Elternhaus und das Verhältnis des Jungen zu Vater und Mutter: Mehr als einer Szene bedarf es nicht, um das Ausmaß der kindlichen Traurigkeit zu erfassen. 

Eine Novelle ist kein Roman, aber man braucht keine dicken Bücher zu schreiben, um kluge Geschichten zu erzählen. Beweist Köhlmeier.