Rezension

Indischer Mosaikstein ohne Weichzeichner.

The Lowland - Jhumpa Lahiri

The Lowland
von Jhumpa Lahiri

Bewertet mit 5 Sternen

Indien - ist groß und weit weg! Dennoch waren viele schon dort und haben existentielle Erlebnisse gehabt. Und man sagt, wer einmal dort war, sei dem Land verfallen. Es ist vielfältig. In die Schlagzeilen kommt es aktuell hauptsächlich wegen seiner frauenfeindlichen Einstellung, man hat den Eindruck, die meisten Männer Indiens würden Frauen gerade zu hassen: Jedenfalls stehen wenige auf und protestieren, wenn Frauen gefoltert und getötet werden, nur weil sie Bus fahren oder auch mal pinkeln müssen - was Männer auf der Strasse ja ungeniert tun - es stinkt in Indien! Jhumpa Lahiri zeichnet ebenfalls ein strenges Bild von Indien, von einem kleinen Teil daraus - doch Indien besitzt starke Charaktere. Ein paar davon findet man im vorliegenden Roman.

Multikulturell Interessierte haben sicherlich schon einmal vom Naxalite Aufstand in Westbangalen gehört. Wiki schreibt: “The Naxalite Maoist insurgency is an (ongoing) conflict between Maoist groups, known as Naxalites or Naxals, and the Indian government.” Rund um diesen Konflikt, der immerhin erst im 21. Jahrhundert (einigermaßen) befriedet worden ist, nistet Jhumpi Lahiri ihren Roman ein, der zum einen Teil in Kalkutta spielt und zum anderen in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Ihr Stil ist so wie ihre Figuren sind, ziemlich schroff oder anders gesagt, von herber Schönheit. Mehrmals habe ich in der Buchhandlung in verschiedenen Lesestadien in die deutsche Übersetzung hineingelesen, um mich meines Einducks zu vergewissern. Diese Übersetzung ist hervorragend und ganz eng am englischen Original! Die Schroffheit des Stils ist keineswegs langweilig, sie wirkt nicht einmal abgehackt. Dennoch, die Sätze sind kurz. Lyrisch. Schmerzhaft. Weil ohne Weichheit. Ohne Weichzeichner.

Von ihrer Personalie enthüllt die Autorin nur, was wichtig für die Geschichte selber ist, anderes bleibt verborgen. Wieder einmal handelt es sich um eine Familiengeschichte, geprägt von der indischen Kultur. Da sind zwei Brüder, die eng miteinander verbunden und gemeinsam aufgewachsen sind und unterschiedlich bemessene mütterliche Liebe erfahren, da sind in ihren Lebensäusserungen zwangsweise beschränkte Frauen, da sind exakte Charaktere, die mit der Historie, mit der sie verwoben sind, kämpfen. Gauri, die weibliche Hauptrolle, ist wie aus Stein gehauen. Da ist ein Kampf um Freiheit, äussere, innere.

Erzählt wird aus der jeweiligen Perspektive der Handelnden. Es gibt wenig Dialoge. Die oft gerade nicht Handelnden haben ein reiches Innenleben, das sie aber kaum enthüllen. Nur der Leser weiss, warum dies oder jenes gesagt wird oder ungesagt bleibt, getan ode ungetan bleibt. Die Handelnden unterstellen sich gegenseitig notgedrungen falsche Intentionen. Die Liebe ist streng in ihrer Aussenwirkung. Ein Nebenthema ist Integration. Obwohl von der Emigration in die Staaten in jeder nur erdenklichen Weise profitierend, werden die Figuren nur mittelbar warm mit ihrer Umgebung. Sie sind in jeder Hinsicht Fremde. Heimatlos.

Was ich besonders bewundere, ist die Kraft, mit der die Autorin ihren Roman und Figuren zu Ende führt, sie duldet keine Abweichungen.

Fazit: The Lowland hat alles, was ein großer Roman braucht, eine große Erzählerin, Historie, Fakten, eine größere Zeitspanne, starke Charaktere, Entwicklung, Atmosphäre, Aktualität und Kraft. Die Lektüre dieses dramatischen Romans hat mich sehr berührt. Wen wunderts? The Lowland stand 2013 sowohl auf der Shortlist des Man Booker Prizes wie auch des National Book Award. Ich empfehle, die Autorin Jhumpa Lahiri kennen zu lernen.

Kategorie: gehobene Literatur
Verlag: Bloomsbury, 2014