Rezension

Interessanter Coming-of-Age-Roman mit einigen Längen

In guten Kreisen - Amber Dermont

In guten Kreisen
von Amber Dermont

Jason Prosper lernt der Leser als trotzig-rebellisches Kind reicher aber liebloser Eltern kennen. Er befindet sich auf dem Weg zu seiner neuen Schule, auf der er das letzte Highschool-Jahr verbringen soll, nachdem er auf seiner vorherigen Schule negativ aufgefallen ist. Man spürt die Langeweile, die Orientierungslosigkeit und das Selbstbewusstsein eines jungen Mannes, der sich niemals über seine Zukunft oder Geld Sorgen machen braucht. Das Verhältnis zu seiner Familie ist oberflächlich, der Vater ein typischer Wirtschaftsmann, der sich lieber mit seinen Sekretärinnen vergnügt, steht ihm genauso wenig nahe wie seine von Eifersucht zerfressene Mutter.
Jason erzählt aus der Ich-Perspektive von seiner einzig intensiven Bindung zu seinem besten Freund Cal. Nach und nach enthüllt er dabei, wie sich aus einer Freundschaft zunächst eine symbiotische und später eine Liebesbeziehung entwickelte, die schließlich im Selbstmord von Cal gipfelte. An der neuen Schule geht er zunächst bewusst auf Abstand und versucht diesen herben Verlust zu verarbeiten. Nach einem gescheiterten Versuch gibt er sich gar seine größte Leidenschaft - das Segeln - auf, zu intensiv sind die Erinnerungen an Cal, mit dem er alle Meisterschaften gesegelt ist.
Die Schule stellt sich als ein Ort der zweiten Chancen raus: Alle Schüler sind reiche Elitekinder, die an ihren vorherigen Privatschulen negativ aufgefallen sind oder sogar dort rausgeschmissen wurden. Hier sollen sie nun einen Neustart erhalten, doch man merkt schnell, dass die Schule hauptsächlich auf die großzügigen Spenden der Eltern spekuliert, wenn ihre Kinder wieder auffällig werden, was die Jugendlichen - besonders die Jungen - stark ausnutzen. Es werden Bootshäuser angemalt, eingebrochen, andere Schüler schikaniert und jede Menge Alkohol und Drogen konsumiert.
Mit einer ruhigen, sehr distanzierten Erzählweise von Jason führt er durch den Schulalltag und man bekommt Einblicke in die Vertuschungsmechanismen und alltäglichen Grausamkeiten der privilegierten Schüler. Sie alle scheinen zwischen Aggressivität und Selbstzweifel zu schwanken und mit der Gewissheit, dass das elterliche Scheckbuch alle Eskapaden ausbügeln kann, wird hemmungslos jeder spontane Einfall umgesetzt, jede Laune ausgelebt.
Währenddessen nähern sich Jason und die eigenbrötlerische Aidan an. Sie ist still, depressiv und scheint genau wie Jason unter ihrer sexuellen Orientierungslosigkeit zu leiden. Auch sie hatte bereits homosexuelle Erfahrungen, fühlt sich nun aber durchaus auch zu Jason hingezogen. Doch dann eskalieren die Ereignisse und im letzten Drittel nimmt die Handlung einen überraschenden Verlauf.

Man hat immer wieder den Eindruck, dass die Autorin hier eine ganze Milieustudie anstrebt, doch bleibt sie zu sehr auf Jason und seine Gefühlswelt verhaftet und das Bild dadurch sehr flach. Die teilweise überhand nehmenden Beschreibungen der Grausamkeiten und Eitelkeiten der elitären Privatschüler fehlte ein stärkeres Gegengewicht. Zwar freundet sich Jason zögerlich mit dem einzigen schwarzen Schüler der Schule an, der moralisch und intellektuell seinen Mitschülern weit überlegen ist und auch seine Freundin Aidan ist nicht offen aggressiv. Insgesamt bleiben diese Figuren aber im Hintergrund und passiv. Dadurch wirken die einzelnen Episoden und beschriebenen "Streiche" zunehmend austauschbar und redundant. Sicherlich hätten dem Buch einige Straffungen gutgetan.
Dadurch hatte das Buch zwischendurch fast seinen Reiz verloren, dabei sind die Sprache und die Erzählweise sehr stilvoll und voller Symbolik, die sich einem erst am Ende vollkommen erschließt. So kämpft Jason während des ganzen Buches mit seiner eigenen Identität. Er fühlte sich oft wie eine schwächere Kopie von Cal und sehnt sich zunehmend nach mehr Eigenständigkeit:
"Es ist komisch, dass ein ganz heller Stern eigentlich zwei Sterne sein kann. Dass unsere Augen sie nicht voneinander trennen oder unterscheiden kann." S.392f.
Solche Sätze und Bilder werden sehr kunstvoll in die sonst sehr prosaische Handlung eingebunden. Die schwankende, ja nie klar werdende Sexualität von Jason wird behutsam und ohne Klischees erzählt.
Ich befürchte, dass die Autorin zu viele Ideen und Motive gleichzeitig verarbeiten wollte: Das Segeln, die Milieustudie der Ostküstenelite, Homosexualität, Erwachsen-werden, der Börsencrash, Rassismus, Standesdünkel, Selbstmord. Es fehlte ein wenig Straffung und ein Fokus - ähnlich wie bei "Baba Yaga" von Toby Barlow hoffe ich auf das nächste Werk der Autorin.

Fazit: Eine interessante Coming-of-age-Geschichte mit einigen ungewöhnlichen Wendungen und einem erfrischenden Blick auf die sexuelle Orientierungslosigkeit der Protagonisten. Leider hat das Buch unnötige Längen und einen sehr einseitig pessimistischen Blick auf die gesamte Gesellschaftsschicht.