Rezension

Ironisch – politisch – gesellschafts-kritisch – menschlich...!

Gesang zwischen den Stühlen -

Gesang zwischen den Stühlen
von Erich Kästner

Was auch immer geschieht:
Nie dürft ihr so tief sinken,
von dem Kakao, durch den man euch zieht,
auch noch zu trinken.

Mit „Was auch geschieht!“ beginnt Kästners Gedichtband, der erstmals im Jahre 1932 erschien: Sein „Gesang zwischen den Stühlen“ könnte auch als Gesang zwischen zwei Weltkriegen, zwischen zwei Gesellschaftsformen, zwischen dem Tanz auf dem Vulkan und dem Schwimmen gegen die brauen Flut, zwischen zwei Leben eines Literaten verstanden werden.

Kästner spielt mit dem Versmaß und variiert mit der Länge der Gedichte. Thematisch deckt er eine große Bandbreite ab und reimt über alltägliches, politisches, philosophisches wie auch persönliches. Teilweise deutet er seine Meinung nur an und versteckt die Kritik hinter Verse, die scheinbar unbedeutende Normen beschreiben, die gesellschaftlich akzeptiert und somit wenig hinterfragt werden. Kästner hinterfragt: Feingeistig, ironisch und gesellschafts-kritisch legt er die Schwachpunkte offen.

So hinterfragt er z. Bsp. im Gedicht „Brief an meinen Sohn“ die klassische Rollenverteilung in der Erziehung. In „Das Riesenspielzeug“ weist er auf die damalige hohe Zahl von jugendlichen Erwerbslosen hin, die ohne Perspektive nur allzu empfänglich für den Lockruf der Nazis waren. Im Gegenzug wechselt er in „Ein Quartaner denkt beim Anblick des Lehrers“ die Sichtweise: Wie kann ein Lehrer ein gutes Vorbild sein, wenn der Schüler, den er auf das Leben vorbereiten soll, gesellschaftlich über ihm steht und dessen Summe an Taschengeld höher ist als das Salaire des Lehrers?

In „Sozusagen in der Fremde“ beschreibt er mit bitterem Ton die Vereinsamung des Einzelnen, obwohl dieser von Menschenmassen umringt scheint. Bei „Die deutsche Einheitspartei“ führt er die Daseinsberechtigung eben dieser ad absurdum, indem er das Widersinnige und die Sinnlosigkeit bloßlegt. Mit „Das ohnmächtige Zwiegespräch“ wirft der Autor einen beängstigenden Blick in die nahende Zukunft und beendet hiermit diese Vers-Sammlung von insgesamt 47 Gedichten.

Und je mehr ich Gedicht für Gedicht lese, je mehr ich mich in Kästners Prosa vertiefe, umso mehr verdichtet sich in mir der Verdacht, dass es sich hier weniger um einen volltönenden, schönstimmigen Gesang (wie der Titel fälschlicherweise versprechen könnte) handelt. Vielmehr versteckt sich hinter Kästners Versen ein zwar scharfzüngiger aber auch tottrauriger Ab-Gesang, der ein Ausblick gab auf die folgenden Jahre, die alles verändern sollten.

Und so bitter seine Verse auch klingen mögen, so brutal er den literarischen Finger auf die offenen Wunden der Gesellschaft legt, so blickt er mit einer melancholischen Heiterkeit doch auch voller Verständnis auf die Menschheit.

Denn schließlich war er ja einer von ihnen: ein Mensch unter Menschen…!