Rezension

Jeder hat sein Päckchen zu tragen

Nordwestzorn -

Nordwestzorn
von Svea Jensen

Bewertet mit 4.5 Sternen

Sehr gute Fortsetzung der Soko St. Peter-Ording mit einem spannenden und emotionalen Fall und einem sympathischen Ermittlerteam.

"Sie musterte ihr Gegenüber aufmerksam. Es war das erste Mal in ihrer Laufbahn, dass sie einen Cold Case am Wickel hatte, und sie ging davon aus, dass die damaligen Ermittler den Befragungen, die Norberg und sie durchführen würden, skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstanden."

– Nordwestzorn, Taschenbuch, Seite 59

Nachdem ich den Auftaktfall der „Soko St. Peter-Ording“ Reihe von Svea Jensen für Vorablesen rezensieren durfte, habe ich mir diesen zweiten Band selbst gekauft. Er ist am 25. Mai 2021 bei HarperCollins erschienen und das Erscheinungsdatum des dritten Bands „Nordwestnacht“ ist für den 22. März 2022 angekündigt.

Darum geht’s

Kommissarin Anna Wagner ist zurück in St. Peter-Ording und gekommen um zu bleiben. Dank der Fürsprache des Dienststellenleiters Hendrik Norberg und den Ermittlungserfolgen im Fall „Nina“ wird sie die Vermissten-Soko in St. Peter-Ording aufbauen. Viel Zeit für Wiedersehensfreude bleibt nicht, denn ein ungeklärter Fall aus dem Jahr 2004 wird neu aufgerollt. Damals verschwand der neunjährige Florian aus einer Jugendherberge während einer Klassenfahrt. Bis heute fehlt von ihm jede Spur und auch eine Leiche wurde nie gefunden. Schnell wird klar, dass der Fall bei Eltern, Lehrer*innen, Tatverdächtigen und Polizeikolleg*innen tiefe Wunden hinterließ, die Anna und ihr Team nun wieder aufreißen müssen.

Mein Leseerlebnis

Das sehr gut gestaltete Cover ist ein Hingucker. Wie auch beim ersten Band ist eine idyllische Meeresszenerie zu sehen, die in dunklen Tönen gehalten wird. Es wirkt, als sei ein dunkler Fotofilter über das Bild gelegt worden. Der rötliche Horizont, der an einen romantischen Sonnenuntergang erinnern könnte, dient dabei als Hintergrund für den Wortteil „Zorn“ des Buchtitels, sodass die Stimmung beim Betrachter eher eine bedrohliche Wirkung erzielt. Ich habe das Taschenbuch daher mit einer Mischung aus Vorfreude auf die nordfriesische Küste und einen spannenden und dunklen Krimi zur Hand genommen.

Dunkel wird es tatsächlich. Einerseits, weil wir Leser*innen in ein kaltes und verschneites St. Peter-Ording entführt werden und andererseits, weil der Vermisstenfall des kleinen Florian in vielerlei Hinsicht in dunkle, menschliche Abgründe blicken lässt, die auch mich als Leserin nicht kalt gelassen haben. An vielen Stellen schafft es die Autorin zu fesseln und Emotionen zu provozieren. Dabei bleibt der Krimi unblutig.

Das Netz der Geschehnisse, das Anna und ihre Kollegin nach und nach zu entwirren beginnen, lädt abermals zum „mitraten“ ein. Wie auch im ersten Band erinnern die Polizeiarbeit der Soko und das dargestellte Privatleben des Ermittlerteams an einen Fernseh-Tatort. Dabei gibt es regelmäßige Rückblenden, die die Geschehnisse im Jahr 2004 schildern. Auch diese Szenen sind so plastisch dargestellt, dass sie, wie im Fernsehen, vor meinem inneren Auge abgelaufen sind. Bis zum Ende wird die Spannung durch verschiedene Ermittlungsspuren und neue Geschehnisse aufrecht erhalten.

Svea Jensen schreibt anschaulich, spannend und flüssig. Ihre Protagonist*innen entwickeln sich weiter und sind mir als Leserin noch mehr ans Herz gewachsen. Leider hat sich mein Wunsch nicht erfüllt, dass das bayerische Temperament von Anna zu Kollisionen mit der norddeutschen Mentalität führt. Anna scheint im Herzen bereits ein Nordlicht zu sein und ist bei Kolleg*innen und Bekannten schnell beliebt. Diese Harmonie langweilt und ist mir nach wie vor etwas zu unrealistisch. Zumindest kleinere Konflikte könnten das Privatleben der Ermittler*innen auflockern.

Der Fernweh-Faktor ist für mich durch die frostige und verschneite Küstenlandschaft etwas gedämpft, was aber natürlich Geschmacksache ist. Neben St. Peter-Ording führen die Ermittlungen in einige weitere Städte und Orte, die farbenfroh beschrieben werden und Lust auf den Norden machen.

Fazit  

NORDWESTZORN ist eine sehr gute Fortsetzung der Reihe Soko St. Peter-Ording. Svea Jensen präsentiert einen spannenden und gut konstruierten Kriminalfall, der bei den Leser*innen Emotionen auslöst ohne zu moralisieren oder zu werten. Das sympathische Ermittlerteam macht Lust auf mehr Fälle aus Nordfriesland und der nächste Band steht schon auf meiner Wunschliste.