Rezension

Josef Beuys: Geltungsdrang und Sendungsbewusstsein

Beuys - Hans-Peter Riegel

Beuys
von Hans-Peter Riegel

Bewertet mit 3.5 Sternen

Bei manch moderner Kunst/Richtung kann ich auch oft nur sagen, "gefällt mir, gefällt mir nicht" und ich finde die hineingeguckte Schau oft übertrieben. Bei Beuys aber ist seine Tätigkeit ein Ausdruck seiner Weltanschauung. Deshalb sollte man darüber etwas (mehr) wissen.Den beuyschen Hintergründen nachgegangen und kritisch nachgehakt zu haben, ist ein Verdienst dieses Buches, den man nicht hoch genug veranschlagen kann, dennoch war es eine mühsame Lektüre.

Die Biografie von Josef Beuys durch Hans Peter Riegel ist gewissenhaft recherchiert bis ins kleinste Detail und Datum, folgt teils chronologisch, teils thematisch gehalten Beuys Leben von der Wiege bis zur Bahre. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Werk und seines anthroposophischen Unterbaus.

Was ich am Biografen schätze, ist seine kritische Haltung, die jedoch niemals den Respekt vor dem Subjekt verliert. Seine akribischen Ausführungen, die den Charakter einer wissenschaftlichen Abhandlung haben, sind allerdings für den Kunstlaien nicht leserfreundlich, m.a.W. ich habe mich schrecklich gequält. Ob die Lesequal nun am Betrachteten oder am Betrachtenden lag, vermag ich nicht mit Sicherheit festzulegen.

Inhaltlich teile ich persönlichen Erkenntnisgewinn mit allen Interessierten:

Josef/Joseph Beuys; 12.5.1921 bis 23.1.1986, war nicht von Kind an eine künstlerische Persönlichkeit wie z.B. Annette von Droste-Hülshoff. Er stammte aus Arbeiterverhältnissen, für die er sich schämte und war ein durchschnittliches Kind. Als Jugendlicher fiel er höchstens durch ungebührliches Benehmen auf. Auch in seiner schulischen Ausbildung gelangen ihm keine auffälligen, positiven Leistungen. In der Schulzeit wurde er durch einige Lehrer mit dem Nationalsozialismus indoktriniert. In Nachhinein eine kritische Haltung zu diesem „Schulgeist“ einzunehmen, lag nicht in seiner Erkenntnisfähigkeit. Das Abitur hat er wohl, entgegen eigener Aussagen, nicht abgelegt. Ein bisschen Schummeln finde ich für die Zeitbetroffenen des Zweiten Weltkriegs verzeihbar, doch nimmt diese Information schon vorweg, dass man weder Autobiografien noch Selbstaussagen noch Selbstdarstellungen Beuys über den Weg trauen darf.

H.P. Riegel schreibt:
Was wir heute über das Leben von Joseph Beuys zu wissen glauben, entstand überwiegend aus der Verkettung von Legenden.“

Beuys meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst und war in der Luftwaffe als Funker tätig. In den letzten Kriegswochen wurde er zusammen mit der Infanterie in heftige Rückzugsgefechte verwickelt. Sowohl bezüglich seiner Kriegsmeriten wie seiner Verletzungen flunkerte Beuys das Blaue vom Himmel herunter. Einer Begegnung mit Nomaden, die ihn nach einem Absturz gesundgepflegt hätten, steht H.P. Riegel mehr als skeptisch gegenüber!

Nach Kriegsende schrieb Beuys sich in die Düsseldorfer Kunstakademie ein, nachdem er zuvor bei einem einheimischen Bildhauer Unterricht genommen hatte.

Überraschend begegnet die Aussage: „Beuys konnte nicht nach der Natur zeichnen.“ 1947 gelang es Beuys, in die Klasse Ewald Matarés aufgenommen zu werden, wo er neben der Malerei, einen „alternativen Zugang zur Bildhauerei jenseits solcher (naturalistischer) Anforderungen“ fand. Er wurde Lieblingsschüler Matarés und mit selbständigen Auftragsarbeiten des Meisters betraut und erwies sich als geschickter Handwerker. In den Düsseldorfer Studienjahren wurde er mit Rudolf Steiner vertraut, dessen Theorien, m.a.W. die Anthroposophie sein ganzes künftiges Werk beeinflusste und theoretisch untermauerte.

Die Inspiration Steiners ...ab Mitte der fünfzige Jahre ist sie zweifelsfrei nachzuweisen.“

Steiners Anthroposophie ebenso wie die Geheimlehre des Orden der Rosenkreuzler, befriedigten Beuys früh erkennbares Geltungs- und Sendungsbewusstsein. Bodhisattva (Verkünder des Guten), höchster Eingeweihter und Messias zu sein, war Beuys Ding. Den Menschen durch die Darstellung der Kunst (Performances) aufwecken, ihn zu neuer Erkenntnis zu sich selbst zu führen, jenseits der Möglichkeiten der exakt arbeitenden Naturwissenschaft bzw. darüber hinaus, war sein Anliegen. Esoterik und Okkultistisches, alles, was auf Transzendenz hinwies, floss in seine Gedanken und Werke.

Glückliche Umstände sowie die Fähigkeit auf fahrende Züge aufzuspringen (Fluxus-Bewegung als Anti-Kunst) sowie seine unbändige Energie, halfen ihm, bekannt zu werden. Doch die Fluxusrichtung wollte den Künstler hinter der Performance verschwinden lassen, also die Kunst dem gesellschaftlich angesehenen Künstler entreißen. Davon distanzierte sich Beuys seiner Geltungssucht gemäß und betitulierte die Gruppe, von der er zunächst trefflich profitierte als „neo-dadadaistisches Bürgerschrecksgetue“.

Beuys zeigte auch in seiner Tätigkeit als Prof an der Uni eine bemerkenswerte Fähigkeit, in die Hand zu beißen, die ihn füttert und den Ast abzusägen, auf dem er sitzt. So führte er einen jahrelangen Akademiestreit mit der Universität, die letztlich zu seinem Rauswurf führte. Dass Beuys Rückgrat hatte, ist das Positivste, was ich über ihn erfahre.

Als Lehrer gab Beuys bald Lehrplan und Thema auf. Er unterstützte seine Schüler in der Suche nach dem Extrem. Er war deshalb total angesagt. Beuys folgte auch im Lehrberuf seinem geistigen Vorbild Steiner: „So muss die Erziehungskunst darin bestehen, dass der Erzieher die Gelegenheiten herbeiführt, durch die sich der Zögling frei entfalten kann.“ (Rudolf Steiner). Nachteil dieser Erziehungsmethode, es kann sich nur entfalten, was vorher schon als Anlage vorhanden ist; eine Aneignung fremder Inhalte, allgemein Lernen genannt, ist nicht möglich. Gleichzeitig war Beuys autoritär und radikal in seinen Korrekturen, m.a.W. er baute auf und er riß ein.

Das Fernsehen als neues Medium machte ihn über die niederrheinische Provinz hinaus populär. Zuvor allerdings war er durch eine tiefe Nachkriegsdepression gegangen. Mit seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie seinen Privatangelegenheiten ging Beuys nicht hausieren, dennoch weiß Riegel:

• Beuys war Kettenraucher und hatte Zahnprobleme. Man hat ihm eine Niere und die Milz entfernt. Depressionen schienen ihn zu begleiten.
• Er liebte Raumschiff Enterprise.
• Er kochte gerne. Die Ergebnisse waren unterschiedlich.
• Sowohl in seinem Arbeitsbereich in der Uni wie auch im häuslichen Bereich herrschte eines vor, das Chaos.
• Er fuhr wegen seines erhöhten Sicherheitsbedürfnisses große, dicke, fette Autos.
• Er war ein lausiger Fahrer.
• Er lebte mit seiner Familie ansonsten bescheiden.
• Er ordnete „seiner Mission“ wegen so ziemlich alles unter.
• Sein politisches Engagement war unausgegoren, Parteigründung; Versuche, eine Freie Kunstuni aufzumachen, Annäherung an die Linken, Anbiederung an die Grünen.

Performances und Schlagworte:
Mysteriöse Spannung; Der Künstler in der Perfomance;

„Wie er 24 Stunden auf einem kleinen rechteckigen Kästchen lebte,... das war schon faszinierend. Obwohl diese Ausdauer und Verbissenheit ein wenig beunruhigte.“ (Anneliese Viefhaus).

Einige von Beuys verwendeten, bekannt-berüchtigte Materialien:
Filz =(Wärme): Sinnbild für aus Wärme entstehende und Wärme abgebende Denkprozesse sowie mit seiner alltäglichen Grauheit Antithese zur bunten Popkultur; Eisen =Erdkontakt; Fett = schamanisches Element; Gold = stellvertretend für die Sonne als irdischer Quell der Weisheit; Tierkadaver = oft Hasen als Krafttier, Schöpfergestalt und Friedensbringer, Inkarnationssymbol.

1967 hatte Beuys Glück, als er seine zufällig zusammengewürfelten Ausstellungsstücke „...eine geniale Methode ..., sein eigenes, kaum noch betretbares Atelier frei zuräumen und das ganze Inventar einfach in einem Museum auszustellen“ (Johannes Stüttgen; Lieblingsschüler) an den Industriellen Karl Ströher als Gesamtkomposition zu exorbitantem Preis verkaufen konnte und sie zusammen mit dessen aus der USA stammenden Pop-Art Sammlung auf Wanderausstellung ging.

Karl Stöhr (Mäzen und Käufer) war Freimaurer, stand gleichzeitig dem Nationalsozialismus nahe. Beuys störte sich nicht an im Nationalsozialismus eng beheimatete Mitarbeitern, von denen es mehrere gab. Für ihn zählte nur seine Mission. Weltverbesserung durch die Ausweitung und Befreiung der Kunst. Er ordnete persönliches Wohl und seine Gesundheit unter diese selbst gewählte, jedoch verworrene Aufgabe und blieb ihr treu bis zum Ende, das durch Überarbeitung und Herzinfarkt viel zu früh erfolgte. Er wurde 64 Jahre alt. Bezeichnenderweise genau so alt wie Rudolf Steiner.

Die kritische Haltung des Autors rückt manches Verwirrende und Widersprüchliche zurecht. Er ordnet Beuys Erfolg in den Kontext der Historie, dem Aufbruch in Neues auf allen Gebieten, also einer Öffnung und Neuorientierung und dem Ausbruch der experimentellen Kunst. Worin das Charisma dieses Mannes bestand, der zeitweise den Eindruck eines Besessenen machte, ist mir allerdings unklar geblieben.

Fazit: Wer als Student eine Hausarbeit oder Doktorarbeit über Beuys schreiben muß, sollte zu diesem Buch greifen! Ein ausführliches Personenregister und durch Fussnoten belegte Nachweise machen dieses Buch zu einem ausgezeichneten Fachbuch. Der Spaßfaktor geht allerdings gegen Null.

Kann man sagen, Populärwissenschaft geht anders? Ja.

Kategorie: Biografie
Verlag: Aufbau Verlag, 2013