Rezension

Kein Lichtblick - für niemanden

Eine letzte Liebschaft - Richard Yates

Eine letzte Liebschaft
von Richard Yates

Bewertet mit 4 Sternen

Richard Yates gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller der US-amerikanischen Nachkriegsgeneration, für manche ist er der »missing link« zwischen Tennessee Williams und Raymond Carver. Der Band Eine letzte Liebschaft versammelt die neun letzten noch nicht auf Deutsch veröffentlichten Erzählungen des Autors. Ganz gleich, ob er das unterdrückte Begehren einer Hausfrau in der Vorstadt thematisiert, die Verzweiflung eines Büroangestellten in Manhattan oder das gebrochene Herz einer alleinerziehenden Mutter – niemand porträtiert die Alltagshoffnungen und -enttäuschungen seiner Figuren so schonungslos, doch mitfühlend wie Richard Yates.

Der Kanal

Auf einer Party werden Kriegserlebnisse ausgetauscht: Ein dekorierter Offizier, stolz auf seine Kampferfolge, trifft auf einen Schreibtischtäter, der sich herabgesetzt fühlt.

Eine Krankenhausromanze

Auf der Aufnahmestation eines Tuberkulose-Krankenhauses begegnen sich Männer verschiedenen Alters mit unterschiedlichen Temperamenten und unterschiedlichen Sorgen.

Glocken am Morgen

Im Schlamm eines Schützengrabens in Deutschland wachen zwei Männer bei nebligem Wetter auf und hören auf einmal Kirchenglocken.

Abend an der Côte d’Azur

Bettys Ehemann, ein Marine in Südfrankreich, hat sie mit den Kindern im Hotel allein gelassen, um auf sein Schiff zu gehen. Sie hat Heimweh, sie möchte sich abends amüsieren. Sie bleibt nicht allein

Diebe

Drei Männer auf der Tuberkulose-Station schwelgen in Erinnerungen an „Heldentaten“ aus ihrer Jugend.

Ein persönliches Besitzstück

Ein Mädchen findet ein Geldstück – zu ihrem Unglück.

Der Rechnungsprüfer und der wilde Wind

Am Vorabend wurde der Buchhalter George von seiner Ehefrau verlassen, obwohl er doch immer alles für sie beide richtig gemacht hatte. Oder nicht?

Eine letzte Liebschaft

Ein Mädchen erzählt ihrer Arbeitskollegin von ihrer Europareise. Sie plappert ohne Unterlass.

Ein genesendes Selbstbewusstsein

Ein krank geschriebener Ehemann hat das Gefühl, seiner Frau nichts recht machen zu können. Und natürlich passiert ihm ständig etwas, was dies beweist.

* * *

Es scheint fast, als wäre die „Short Story“ für Yates erfunden worden, denn er beherrscht es meisterhaft, „ein Stück herausgerissenes Leben“ (Wolfdietrich Schnurre) zu schildern: Eine Passage aus der Alltäglichkeit seiner Figuren, ein beliebiges Stück Biographie meist ohne erkennbaren Höhepunkt, Pointe oder Abschluss.

Der Leser wird nicht ins Szenarium eingeführt, er muss hineinspringen. Auch die Personen werden ohne Vorstellung mit ein paar Worten, Sätzen bekannt gemacht. Meist spielt es weder eine Rolle, wer sie sind oder woher sie kamen noch wohin sie steuern. Ausnahme: Wenn eine Personen ihre Vergangenheit zum Thema macht und selbst darüber erzählt.

Es sind „kleine graue Tragödien“ (Elke Schmitter im Spiegel), die Yates schildert. Keine Entscheidungen, durch die sich ein Leben ändert und in eine andere Richtung läuft, kein Wendepunkt, nur die Routine des Alltags. Nur manchmal ein paar kleine Freuden, die den Alltag heller machen.

Für zwei Geschichten wählt Yates eine Tuberkulose-Station als Ort der Handlung, und der Krieg wird oft thematisiert – hier machte Yates Anleihen aus der eigenen Biographie. Auch der Alkoholkonsum war nicht nur Thema seiner Literatur, sondern auch seines Lebens.

Ein paar Personen, eine alltägliche Situation, ein Ort – mehr braucht man nicht, um ansprechende Literatur zu schreiben. Wenn man so schreiben kann wie Yates.