Rezension

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Kriminalroman gepaart mit Milieustudie

Unterm Birnbaum - Theodor Fontane

Unterm Birnbaum
von Theodor Fontane

Bewertet mit 4 Sternen

"Unterm Birnbaum" handelt von Abel Hradscheck und seiner Frau Ursel, die als Zugezogene im Ort Tschechin ein Gasthaus und ein Materialwarengeschäft führen. Die finanzielle Notlage der beiden belastet ihre Ehe zusehends und Abel überredet seine von Armutsangst beherrschte Frau einen ihrer Gläubiger umzubringen. Der Mord gelingt tatsächlich, aber während Ursel immer mehr an ihren Schuldgefühlen vergeht, muss sich der lebenslustige Abel vermehrt mit dem Misstrauen durch einen Dorfpolizisten und seine Nachbarin auseinandersetzen...

"Unterm Birnbaum" gehört zu einer der Frühwerke Fontanes, nichtsdestotrotz lassen sich bereits in dieser Kriminalgeschichte (oder auch halber Detektivroman) viele Ansätze finden, die Fontane auch später in seinen bekannteren Werken wie "Effi Briest" beschäftigen. Zum einen sticht ins Auge, dass Fontane ein Meister des inneren Aufbaus einer Geschichte ist. Man merkt, dass der Plot von vorne bis hinten durchdacht ist, so dass bereits die ersten Seiten wertvolle Hinweise auf das Ende geben und auch sonst lassen sich immer wieder kleine Hinweise finden, die mit voller Absicht an der jeweiligen Stelle zu finden sind. Großartig ist auch die Figurenpsychologie, die Fontane in "Unterm Birnbaum" aufzieht. Vor allem die beiden Protagonisten Abel und Ursel sind hervorragend ausgarbeitet. Abel der kühle Geschäftsmann, dem sein Aberglaube zum Verhängnis wird und Ursel, die streng gläubige Katholikin, deren Glaube in starker Konkurrenz zu ihren Verarmungsangst steht. Während Abel zu Beginn der Geschichte unterlegen scheint, weil er den ausgiebigen Lebensstil seiner Frau nicht unterbinden kann, ändert der Mord alles. Ursel kämpft mit ihren Schuldgefühlen und sucht Trost in ihrem Glauben und Abel genießt die neue finanzielle Freiheit und unterliegt den Anvancen der Hauptstadt Berlin. Ein großartige und zum Schmunzeln bringende Figur ist die Mutter Jescke, die sich hinter dem Attribut der Hexe versteckt und in vielen Angelegenheiten des Dorfes die Zügel in der Hand hält. Sie platziert geschickt Misstrauen bei der Polizei, bei Abels Angestellten und auch ihn, den sonst so unnahbaren Geschäftsmann, kann sie aus der Fassung bringen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt von "Unterm Birnbaum" ist die Milieustudie. Die Bauern von Tschechin sind stereotyp gezeichnet. Man sieht sie nie auf ihren Feldern arbeiten, stattdessen verbringen sie ihre Zeit mit Saufen und Spielen in Hradschecks Gasthof und lassen sich nebenbei von ihren Frauen auf der Nase rumtanzen. Dazu sind sie eine eingeschworene Gemeinschaft. Abel wurde mit offenen Armen empfangen, da er mit seinem Gasthof die öde Langeweile des Alltags vertreiben kann, Ursel als Katholikin kann in dem streng protestantischen Dorf jedoch nie Anschluss finden und auch ihre anfängliche arrogante und verschwenderische Art machen sie zur Außenseiterin. So sind beide in vielen Dingen Opfer dieses Milieus. Die Milieustudie ist zwar gelungen und dennoch ist dies auch der Aspekt, der "Unterm Birnbaum" ein paar Längen verleiht. Den Bauern wird viel Aufmerksamkeit geschenkt, an manchen Stellen wirkte diese Aufmerksamkeit jedoch sehr erzwungen. Mit den Mordermittlungen werden zudem Mängel in der Arbeitsweise der Ermittlungsbehörden schonungslos aufgedeckt. Eine Tatortbegehung, eine Hausdurchsuchung oder Zeugenbefragungen finden nie statt, daher wird in der Forschung seit jeher viel diskutiert, ob "Unterm Birnbaum" eine Kriminal- oder eine Detektivgeschichte ist. Eine klassische Kriminal- oder Detektivgeschichte wird jedenfalls nicht geboten und doch lassen sich von beiden Elemente finden. Einen Detektiv braucht das ganze jedenfalls nicht, denn der Mörder überführt sich schließlich selbst und auch damit beweist Fontane, dass er seine Geschichte wohl durchdacht hat.

Fazit: "Unterm Birnbaum" überzeugt durch seine Figurenpsychologie und den wohl durchdachten Plot. Auch die Milieustudie ist ein interessanter Aspekt, aber sie ist etwas in die Länge gezogen und hat den Lesegenuss damit etwas abgeschwächt.