Rezension

Kritischer, tiefgründiger und spannungsgeladener Islandkrimi

Höllenkalt -

Höllenkalt
von Lilja Sigurdardóttir

Bewertet mit 5 Sternen

Áróra ist halb Isländerin, halb Engländerin, wobei sie sich der britischen Insel verbundener fühlt. Sie arbeitet dort selbstständig als Ermittlerin für Wirtschaftskriminalität. Als ein Hilfeschrei ihrer Mutter sie erreicht, dass ihre Schwester Ísafold in Island verschwunden ist, begibt sie sich dorthin auf Spurensuche. Sie entdeckt dabei, wie wenig sie doch von ihrer älteren Schwester weiß. Diese lebte in einer gewalttätigen Beziehung und schaffte es einfach nicht, sich von ihrem Tyrannen zu befreien. Doch was geschah mit Ísafold - hat sie sich etwa freiwillig dazu entschlossen, sich aus ihrer Geiselhaft zu befreien? Es beginnt eine kritische Jagd nach der Wahrheit, die Áróra oft an ihre Grenzen bringt...
Lilja Sigurdardóttir ist mit "Höllenkalt" ein spannender Islandkrimi gelungen, der es schafft facettenreich, tiefgründig und ab und an sogar philosophisch zu sein. Das Thema häusliche Gewalt wird aus Sicht einer Angehörigen beschrieben, die es oft nicht verstehen kann, weshalb eine Lossagung von der toxischen Beziehung nur schwer möglich ist. Ebenso wird eine schwierige Familiengeschichte betrachtet. Sigurdardóttir greift weitere gesellschaftskritische Themen wie Flucht und psychische Erkrankungen auf und packt sie gekonnt in eine Kriminalgeschichte. Die Lesenden können unterschiedliche Blickwinkel der Ereignisse miterleben - in kurzen Kapiteln werden verschiedene Perspektiven unterschiedlicher Handelnder eingenommen. Manchmal wird sogar aus der Ich-Perspektive der Hauptprotagonistin erzählt, wenn sie sich mit ihrer Familienvergangenheit auseinandersetzt. Erstaunlich kritisch geht die isländische Autorin mit ihren Landsmännern und -frauen um, unterstellt ihnen u.a. Disziplinlosigkeit und besonders isländische Männer werden für ihren Sexismus gerügt. Wie bei den meisten isländischen Krimis nehmen die spezielle Landschaft und die Wetterverhältnisse Islands eine besondere Rolle ein, auch der Glaube oder Nicht-Glaube an Elfenwesen wird thematisiert. Die Charaktere werden authentisch und detailliert beschrieben, sodass es mir hervorragend ermöglicht wurde, mich in diese hineinzuversetzen. Besonders Áróra wird vielschichtig gezeichnet und es ist fesselnd, sie in ihrer Gefühlswelt zu begleiten. Die Spannung, was den Fall angeht, bleibt bis zum Schluss erhalten, es besteht ausreichender Raum für Spekulationen und letztendlich war doch alles anders, als gedacht – genau so sollte es bei einem guten Krimi sein!

Mein Fazit: ein erfrischender Island-Krimi ohne tatsächliche Ermittler/innen, der facettenreich, tiefgründig und gesellschaftskritisch ist. Ich gebe eine absolute Leseempfehlung aus und freue mich schon auf den bald erscheinenden zweiten Teil dieser Trilogie!