Rezension

Leo, John und die Anarchisten

Der Mord in der Rose Street -

Der Mord in der Rose Street
von Alex Reeve

Bewertet mit 3 Sternen

Mit Leo Stanhope hat der Autor Alex Reeve einen ungewöhnlichen Protagonisten erschaffen. Ursprünglich als Lottie Pritchard, Tochter eines Landpfarrers geboren, nun als Transgender-Mann im viktorianischen London lebend, als es das Wort noch nicht einmal gab. Und es ist dieses biografische Detail, das in „Der Mord in der Rose Street“ verstärkt in den Fokus rückt, als Leo wider Willen in einen düsteren Mordfall hineingezogen wird.

Es hat sich nicht viel in Leos Leben verändert. Noch immer arbeitet er als Pedell am St Thomas’s Hospital, noch immer bewohnt er das Zimmer über der Apotheke, noch immer bemüht er sich nicht aufzufallen, um seine Identität zu schützen. Aber dann wird in einem Hinterhof-Club, in dem sich Umstürzler, Sozialisten und Anarchisten treffen, eine Kundin der Apotheke ermordet aufgefunden, die einen Zettel bei sich hat, auf dem Leos Name und Adresse steht. Kein Wunder, dass kurz darauf die Polizei vor seiner Tür steht.

Er wird zu dem Tatort gebracht, wo er auf den Hauptverdächtigen John Thackery, Sohn eines vermögenden Fabrikbesitzers trifft, den Leo aus seinem früheren Leben kennt und der ihn in große Schwierigkeiten bringen könnte, Droht er doch, sein Wissen über Leo preiszugeben, wenn er ihn nicht mit einem Alibi versorgt. Zähneknirschend willigt Leo ein, denn es steht nichts weniger als sein neues Leben auf dem Spiel. Aber die Frage nach Thackerys Unschuld oder Schuld treibt Leo um, er muss dringend herausfinden, was hier gespielt wird, zumal die Kinder des Opfers seinen Beschützerinstinkt wecken. Unterstützung erfährt er von Rosie, der Kuchenbäckerin, die ihm, wie schon im letzten Band, eine große Hilfe ist.

Es ist eine spannende Epoche, in der dieser Kriminalroman angesiedelt ist. Durch die Industrialisierung haben sich die gesellschaftlichen Probleme Englands immens verstärkt. Die Fabrikbesitzer sind zu Ansehen und Reichtum durch die Ausbeutung ihrer Arbeiter gelangt, die Kluft zwischen Arm und Reich gewachsen, das Wahlrecht bedarf dringend einer Reform. Viele Brandherde, aber leider bleiben diese Aspekte der sozialen Spannungen in der Handlung weitestgehend unberücksichtigt und werden nur angedeutet.

Ein weiteres Manko ist das Setting. Es fehlen die Beschreibungen der Schauplätze, der besonderen Atmosphäre, die man bei viktorianischen Krimis zwangsläufig erwartet. Alles wird überlagert von den persönlichen Problemen, mit denen sich der Protagonist aufgrund seiner persönlichen Situation herumschlagen muss. Hier wäre etwas mehr Realismus und gleichberechtigtes Nebeneinander dieser verschiedenen Faktoren wünschenswert gewesen und hätte der Story mit Sicherheit gut getan. Es bleibt also Luft nach oben.