Rezension

Lesenswert

La Storia - Elsa Morante

La Storia
von Elsa Morante

Bewertet mit 5 Sternen

Poetisch-grausam-fesselnd-lesenswert!

'La Storia' 'spielt in der Zeit 1941-1947, wobei der Roman im Grunde die Geschichte des ganzen Jahrhunderts umfasst. Er wird oft mit Manzonis 'Promessi Sposi' verglichen, doch Morante wollte weniger den Fokus auf die Historie an sich legen als Zeitzeugin sein. Elsa Morante wurde 1918 in Rom geboren und verfasste das Werk mit 56 Jahren im Jahr 1974. Sie starb 1985, ein paar Jahre nach einem missglückten Suizidversuch. Der 700seitige Roman ist Geschichte, Menschheits- und Weltgeschichte, und Fiktion. Ida, Halbjüdin, ist eine verwitwete Lehrerin, alleinerziehende Mutter zweier Söhnen von zwei Vätern, Giuseppe, genannt 'Useppe', ein ungewöhnliches Kind, und Nino. Ida ist arm, funktioniert ohne Unterlass, für ihre Söhne will sie nur das Beste, es geht ums nackte Überleben. Ihre Nachbarn sind für sie nur 'flüchtige Gestalten' (161). Das Leben und das Schicksal zehrt an ihr, der ewig Kämpfenden:

'Sie hatte weißes Haar und einen krummen, schon fast buckligen Rücken bekommen und wurde immer kleiner, so daß sie kaum noch größer war als einige ihrer Schülerinnen' (359). 'Sie war wie ein kleiner wunderbarer Blütenkelch, der jeden Morgen an seinem Stengel aufging, auch wenn der schwankte und von südlichen und nördlichen Winden übel zugerichtet wurde. Doch im Winter 1946 verwelkte diese Blüte, die einst ewig zu blühen schien'(517).

Es geht um den Faschismus, den Krieg und seine verheerenden Folgen, Jugendverfolgung. In Italien führten Juden seinerzeit noch ein gutes Leben im Vergleich zu anderen Ländern, wo die Verfolgung/Vernichtung schon in vollen Gange war. Lange ging Italien davon aus, dass Rom als Sitz des Papstes von den Gräueln des Krieges unverschont bliebe, bis die Hauptstadt 1942/1943 bombardiert wird. Die Erzählung ist phantastisch, plastisch und authentisch. Der Leser kann sich perfekt in die damalige Situation und Idas Leben hineinversetzen. Nino geht zu den Partisanen. Der Roman trägt viele autobiographische Züge, auch Morante erlebte als Halbjüdin den Krieg. Wer den Roman liest, sollte sich vorher warm anziehen. Er ist sehr plastisch geschrieben und geht nahe:

'So erzählte sie zum Beispiel in den besiegten Ländern Europas würden die Türen und Fenster aller Häuser zugemauert, in denen man noch einen versteckten Juden vermutete, bevor man die Häuser mit einem Spezialgas, dem sogenannten Zyklon, aussprühe. Und auf den Feldern und in den Wäldern Polens hingen erhängte Männer, Frauen und Kinder, sogar ganz winzige Wesen, an den Bäumen; nicht nur Juden, sondern auch Zigeuner und Kommunisten und Polen und Kriegsteilnehmer...Und ihre Körper zerfielen zu Stücken, und Wölfe und Füchse machten sie sich einander streitig, Und in allen Bahnhöfen, wo die Züge vorbeiführen, sähe man bei den Geleisen Skelette arbeiten, von denen nur noch die Augen lebten...'(103).

Mich fasziniert die Geschichte, die Sprache, die Metaphorik: 'Unruhig beschleunigte sie ihre Schritte, da sie den Verdacht hatte, sie sei auf irgendeinen FREMDEN PLANETEN GEFALLEN, auch wenn sich ihre Füße auf vertrautem Boden bewegten' (376). Auch die Entfremdung von der Arbeit im Rahmen der Industrialisierung nimmt ihren Raum im Roman ein. Jeder im Roman, Tier und Mensch, ist Opfer eines grausamen Schicksals. Niemand bleibt verschont '...der Planet Erde, rund und sinnlos mit all seinen Königreichen, Weltreichen und Nationalstaaten' (481f). Die 70 Seiten ab S. 600 sind etwas mühselig zu lesen. David, ein ehemaliger Mitbewohner im Luftschutzbunker, in emotional-mentaler Agonie als Stimme Idas bzw. Morantes räumt mit dem Schicksal auf, seitenweise Gesellschafts- und Systemkritik mit sich wiederholenden Botschaften, wo doch der Leser so gebannt ist, wie nun die Geschichte des kleinen Useppe weitergeht.

Ich könnte jetzt noch ganz viel erzählen, doch ich möchte nicht spoilern. Die Geschichte zieht einen in ihren Bann und ist unbedingt lesenswert. Die Rechtschreibung in den Zitaten ist naturgemäß nicht angepasst worden.