Rezension

Lesenswert!

Eine unwahrscheinliche Begegnung -

Eine unwahrscheinliche Begegnung
von Eliette Abécassis

Bewertet mit 4 Sternen

Metaphorisch, poetisch, berührend

Ich habe 'Eine unwahrscheinliche Begegnung' aufgrund Westermanns sonntäglicher literarischer Empfehlung im WDR-Radio gelesen. Es ist ein überschaubares Buch von 122 Seiten, das sich in zwei Stunden durchlesen lässt. Sehr interessant und für das Werk und seinen Inhalt nicht unbedeutsam ist die Tatsache, dass die Autorin Abécassis (geb. 1969) Professorin für Philosophie ist. Solche Menschen machen sich tiefschürfende Gedanken. Der Schauplatz des Buches ist wie in einer klassischen, griechischen Tragödie eng abgesteckt: ein Bahnhof und das war es. Entsprechend passend ist das Cover des Buches. Eine Frau, Studentin einer Elitehochschule, die ihren Partner verlassen will, trifft auf einen Flüchtling, der eine 17monatige angstvolle Reise hinter sich hat, um in einer besseren Welt Fuß zu fassen. Er hat weder eine Fahrkarte noch Papiere. Sie hilft ihm, sich vor der Polizei zu verstecken. Sie waren sich zuvor schon einmal begegnet, erinnern sich beide, als er sich in der Kirche versteckte und sie ein Praktikum beim Präfekten machte und zu 'denen' gehörte, die die Kirche von Flüchtlingen räumte.

Die Autorin bedient sich ausschließlich der Personalpronomen 'er' und 'sie'. Die Protagonisten sind namenlos, was mir gut gefällt. Es entsteht eine Art Allgemeingültigkeit. 'Er' und ' sie' könnten wir alle sein. Ein Name könnte ein Gefängnis sein, die Identität einer Person all zu sehr festlegen: 'Wozu ein Name? Der diente immer nur dazu, einzuordnen, gezählt zu werden, aufzufallen, um nicht mit anderen verwechselt zu werden, sich abzugrenzen, festzulegen, ein für alle Mal.Er wollte ihren Namen nicht wissen, denn ein Name hätte sie festgelegt, vergleichbar gemacht' (73).

Es ist ein Roman voller Beobachtungen, von Äußerlichkeiten, Bewegungen, von äußeren und inneren Beobachtungen, seine Gedanken über sie, über seine gefährliche Reise, ihre Gedanken über ihn, ihre Ursprungsfamilie, ihren Partner, ihre Arbeit. Zwischen den beiden entsteht eine Anziehung: 'Eine Frau wie sie, sagte er sich, muss man im Galopp nehmen, mit dem Säbel zwischen den Zähnen'(35). Dieses Bild ist sehr ausdrucksstark. Nicht zögern, wenn man das Glück spürt und es möglichst mit allen Mitteln verteidigen, u.U. auch wild. Ihr Partner, ein Machtmensch, hat nie Zeit. Er 'zivilisiert' sie: '(…) denn er war da und war es zugleich nicht, wie ein Brief, der nicht zugestellt werden kann', 76. Die Sprache ist sehr poetisch und metaphorisch. Die äußere Handlung ist ausschließlich der notwendige Rahmen für inneres Geschehen, für Gedankenströme. Die Themen sind die existentiellen Fragen menschlichen Lebens und durchaus philosophisch-psychologisch: zufällige Begegnungen im Leben, Zufall und Schicksal, (Lebens-)Reisen, innere Reisen, Reisen zu sich selbst, Reisen in die Vergangenheit, Sinn und Sinnlosigkeit ('Sie dachte an ihre Handbücher zu Finanzwesen und Recht, in denen sie unablässig las, aus denen sie lernte und die sie mit Anmerkungen versah. Alles musste immer irgendetwas nützen, seit sie die Hochschule besuchte, 62), Zweifel und Selbstzweifel, Flucht, Liebe. Sie will....den...Fremden...NICHT verlieren! Das Ende ist sehr aufrührend, doch es soll hier nicht gespoilert werden.

Es ist ein Buch, das schon man schon allein aufgrund seiner Kürze als Reflexionsgrundlage immer und immer wieder lesen kann, zumal es auch nie die Aktualität der Thematik und seine Intensität verlieren wird.