Rezension

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Lesenswerte, authentische Milieustudie

Für euch -

Für euch
von

Die Autorin Iris Sayram ist Journalistin, Rechtsanwältin und juristische Intendanz beim Sender RBB und ab Januar 2023 sogar bundespolitische Korrespondentin im ARD-Hautpstadtstudio. Angesichts dieses Werdegangs würde wohl niemand auf die Idee kommen aus welchem sozialem Milieu sie stammt.

In ihrem Roman beschreibt sie recht autobiographisch ihre Kindheit in Köln und das am Rande der Gesellschaft angesiedelte Umfeld, in dem sie aufgewachsen ist und aus dem sie sich schließlich befreien und gesellschaftlich aufsteigen konnte. Dies geschieht auf sehr lesenswerte Weise. Ihr Schreibstil ist sehr flüssig und der Roman liest sich nahezu an einem Stück durch.

Hauptaugenmerk legt die Autorin dabei auf ihre Mutter, die ungeachtet aller Nöte oder Krankheiten alles für ihre Tochter gab, sogar ihren Körper verkaufte. Sie wollte ihre kleine Familie glücklich sehen. Sayrams Mutter erlernte keinen Beruf sondern verdiente nach der Schule direkt Geld. So war es oft üblich, da ja doch später geheiratet wurde und sich die Frau um die Familie zu kümmern hatte. Doch Sayrams Mutter war noch jung und wollte mehr. An ihem Lebenshunger scheiterten dann auch 2 Ehen und der Kontakt zu den Kindern aus diesen Beziehungen riss ab. Als sie Sayrams Vater, einen türkischen Gastarbeiter kennenlernte, zerbrach dann auch die Verbindung zu den Eltern und den Geschwistern. Doch Sayrams Mutter schlug sich durch. Sie tat alles für ihre Familie und wollte der Tochter jeden Wunsch erfüllen und wie Kinder und Jugendlich so sind, hatte diese viele Wünsche, wie die Autorin selbstkritisch zugibt. Aber auch ihre Eltern wollten das Leben genießen und nicht erst später und da gab es kein Sparen oder Haushalten, da wurde gefeiert und sich gegönnt, was man haben wollte.

Als der Vater lieber spielt und wettet als weiter zur Arbeit zu gehen, wird das Geld noch knapper. Die Eltern driften weiter ab, kriminelle Delikte, Polizeigewahrsam, Bewährung, Gefängnis, Prostitution, Krankheit. Doch die Tochter steht immer an erster Stelle. Diese beginnt aber sich mit zunehmenden Alter für ihre Eltern und ihr Leben zu Hause zu schämen. Geld und Geschenke nimmt sie jedoch gerne von der Mutter, ungeachtet dessen, dass sie weiß, woher das Geld kommt und wie es verdient wird.

Schonungslos und ehrlich erzählt Sayram wie sie als Jugendliche war, wie sie manches einfach ausgeblendet hat. Sie berichtet aber auch von ihrer Sorge um Vater und Mutter und ihrem eigenen Ehrgeiz als Kind, aufs Gymnasium gehen und später studieren zu wolen, allen Widrigkeiten zum Trotz. Die Kraft dazu hatte sie ihren Eltern zu verdanken, niemand anderem und natürlich auch sich selbst. Hilfe durch ihre Umwelt gab es dabei nur wenig. Manchmal tritt zwischen den Zeilen etwas Kritik am damaligen Sozialsystem durch, was ich nicht so ganz nachvollziehen kann. In den damaligen Jahren ohne Hartz4 war es eigentlich einfacher als jetzt und alles in allem finde ich unseren Sozialstaat in Deutschland schon recht einmalig und liberal. Er kann aber erwachsenen Menschen nicht komplett die Verantwortung für ihr Leben nehmen und sie blindlings unterstützen ohne etwaige Gegenleistung. Zudem muss der Lebensstil dem Einkommen angepasst sein, da kann man nicht die Verantwortung dem Staat zu schieben. Kinder jedoch sollten nicht unter dem Handeln der Eltern leiden und gefördert werden, gerade wenn Schulen oder Jugendamt von der eingeschränkten Lebenstüchtigkeit der Eltern Kenntnis hat.