Rezension

Liebe, Drama, Staatsräson

Die Hessin auf dem Zarenthron - Marianna Butenschön

Die Hessin auf dem Zarenthron
von Marianna Butenschön

In der Biographie "Die Hessin auf dem Zarenthron. Maria, Kaiserin von Russland" erzählt die Historikerin Dr. Marianna Butenschön von Marie von Hessen und bei Rhein, die als junges Mädchen das Herz des späteren Zaren Alexanders II. erobern konnte. Ihre Ehe wird 40 Jahre halten, doch was mit einer Liebesheirat beginnt, sollte in Gleichgültigkeit und Entfremdung enden. Alexander II. übernimmt das Reich in einer schweren Krisenzeit. Maria steht ihm als Beraterin zur Seite. Doch die Niederlage im Krim-Krieg und die daraufhin eingeleiten Reformen erschüttern das Land. Maria Alexandrowna war keine kämpferische Natur, aber eine tapfere Frau, die sich mit aller Kraft bemühte, ihre Pflichten zu erfüllen und Haltung zu bewahren. Entlang der Lebensgeschichte der Hessin führt Marianna Butenschön uns tief hinein in eine innen- wie außenpolitisch weichenstellende Zeit Rußlands.

Das Cover des Buches zeigt das berühmte Gemälde, das Franz Winterhalter von Maria Alexandrowna geschaffen hat. Man sieht eine Frau mittleren Alters, die ein elegantes Kleid und kostbaren Perlenschmuck trägt. Das Bild soll Macht und Schönheit wiederspiegeln. Trotzdem ist der Betrachter betroffen von den großen traurigen Augen der Kaiserin, die ihre tiefe Melancholie deutlich werden lassen.

 

Auf den ersten Blick ist man erstaunt über die zahlreichen dynastischen Verbindungen zwischen den zwei unterschiedlichen Herrscherhäusern. Trotzdem gab es für diese Vorgehensweise pragmatische Gründe. Alle zukünftigen Bräute mussten dem Hochadel angehören, durften aber nicht aus einer zu mächtigen Familie stammen, die Russland politisch gesehen in die Quere kommen konnte. Außerdem gehörten die auserwählten Mädchen dem protestantischen Glauben an, konnten aber problemlos zur russisch-orthodoxen Kirche übertreten.

 

Im Laufe ihres Lebens hat Marie von Hessen und bei Rhein alle an sie gestellten Erwartungen zur vollen Zufriedenheit erfüllt. Sie hat nicht nur die traditionellen Aufgaben der Landesherrin übernommen und acht Kindern das Leben geschenkt, sondern auch großes Interesse an der Politik gezeigt und ihren Mann tatrkräftig an den anstehenden politischen Refromen unterstützt. Außerdem hat sie sich Verdienste um die Bildung von Frauen in Rußland erworben und gilt als die Gründerin des russischen roten Kreuzes. Marie von Hessen und bei Rhein war ernst, fromm, gebildet und pflichtbewusst, konnte aber nicht die Herzen ihrer Mitmenschen erobern. Sie wurde von ihren Zeitgenossen geachtet, aber nicht geliebt. Man sagt ihr nach, dass sie russischer als die Russen und orthodoxer als die Orthodxoen gewesen sei.

Trotzdem ist sie in ihrer neuen Heimat nicht glücklich geworden. Auch wenn sie in den ersten Jahren eine glückliche Ehe geführt hat, konnte Alexander II. nicht für längere Zeit treu sein und pflegte seine Affären mit anderen Frauen. Später setzte er sich über alle Konventionen hinweg und gründete mit seiner dreißig Jahre jüngeren Geliebten eine zweite Familie,was für seine Frau und seine Kinder wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein muss. Trotzdem hat die Kaiserin niemals die Contenance verloren, sondern alle Schicksalsschläge klaglos ertragen und ihren Trost in der Religion gesucht. Der Tod des Thronfolgers nahm ihr allen Lebensmut. Nach einem langen schweren Leiden ist sie an den Folgen ihrer Tuberkulose-Erkrankung 1880 verstorben.

 

Die Sprache des Buches ist klar und verständlich, und die Biographie lässt sich gut lesen. Die Autorin hat viele Quellen genutzt und würzt die historisch belegten fakten mti interessanten Anekdoten. Auf diese Weise gelingt es ihr, die höfische Welt im 18. Jahrhundert lebendig werden zu lassen. Der Leser kann sich in die Lebensumstände der Protagonisten einfühlen und sie auf ihrer Reise durch die Geschichte begleiten.