Rezension

Mein Thriller-Highlight 2014

Die Flügel, mein Engel, zerreiß ich dir - Karine Giebel

Die Flügel, mein Engel, zerreiß ich dir
von Karine Giebel

Ich bin um dich herum und ganz bei dir.
Ich bin inmitten deiner Gedanken und hinter jeder deiner Handlungen.
Ich bin in jeder Entscheidung, die du zu treffen glaubst.
Ich bin in deinem Kopf und sogar in deinen Adern, mein Engel ...
(
S. 228)

Inhalt

Cloé ist smart, bildhübsch und auf dem besten Weg Direktorin einer großen Werbeagentur zu werden. Nach einer gescheiterten Ehe mit einem gewalttätigen Mann verliebt sie sich in den charismatischen aber auch rätselhaften Bertrand. Auf dem Nachhauseweg von einer Party nimmt sie eine Gestalt wahr, die sie verfolgt und dann wieder im Nichts verschwindet. Ab diesem Zeitpunkt fühlt sie sich immer häufiger von dem mysteriösen Schatten bedroht. Doch wer steckt dahinter? Ihr Ex-Mann, der wegen ihr im Gefängnis saß, hätte Grund dazu. Aber auch ihr Kollege und schärfster Konkurrent Martins, der so wie sie auf dem Chefsessel Platz nehmen möchte, könnte in Frage kommen. Oder ist es aber ihr Geliebter Bertrand, der nie anwesend ist, wenn der Schatten auftaucht. Cloés Leben gerät aus den Fugen und niemand glaubt ihr, weil der Schatten keine Spuren hinterlässt. Einzig Kommissar Alexandre Gomez ist überzeugt davon, dass es den Verfolger tatsächlich gibt, was ihn selber in Gefahr bringt.

Meine Meinung

Karine Giebel zeigt mit ihrem psychologischen Roman, dass sie ihr Handwerk mit Finesse beherrscht. Dabei erzählt sie eigentlich keine neue Geschichte, aber wie sie diese erzählt, macht ihr Buch zu einem Thriller der Meisterklasse.

Gute Thriller habe ich schon viele gelesen, aber nur wenige, die von Anfang bis Ende so zu überzeugen wussten. Beklemmend und mit nervenzerreißender Spannung jagt man durch die Geschichte, in dem Versuch – so wie Cloé – den Schatten zu entlarven. Geschickt lenkt die Autorin das Augenmerk auf einen der Protagonisten, den man schnell als Täter zu erkennen glaubt. Aber macht Karine Giebel es dem Leser wirklich so einfach und präsentiert den Schatten bereits auf den ersten Seiten? Diese Frage hat mich bis zum furiosen Ende immer wieder beschäftigt und zweifeln lassen. Denn von Anfang an, erschien mir dies zu einfach, für ein so vielschichtiges und raffiniertes Debüt, wie es uns die französische Autorin hier vorlegt. Ob ich richtig oder falsch lag, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Nur so viel: das Ende weiß zu überraschen und ist an Spannung kaum zu überbieten.

Mit Cloé stellt sie uns eine Protagonistin vor, die man auf den ersten Blick nur unsympathisch finden kann. Sie behandelt Menschen auf herablassende Art und ist ein echtes Miststück. Eiskalt und berechnend verfolgt sie ihre Karrierepläne und weiß auch ihre weiblichen Reize einzusetzen, wenn es erforderlich ist. Doch verbirgt sie hinter der herzlosen Maske eine tragische Geschichte aus ihrer Kindheit, die sie zu dem Menschen hat werden lassen, der sie heute ist. Ein Mensch, der andere gerne kontrolliert und manipuliert und nun erkennen muss, dass sie selber zum Opfer der Manipulation wird. Denn sie trifft auf einen Menschen, der sich im Schatten aufhält, dunkel und mit einer ihn unkenntlich machenden Kapuze gekleidet ist und sie bedroht. Dies tut er jedoch so subtil und vorsichtig, dass er keine offensichtlichen Spuren hinterlässt. Die Spuren auf ihrer Seele sind jedoch immens und die Angst ihr ständiger Begleiter. In dem verzweifelten Versuch andere von dem Schatten zu überzeugen, scheitert sie, denn niemand glaubt ihr. Und es kommt noch schlimmer. Ihr Geliebter trennt sich von ihr und sie ist nicht mehr in der Lage berufliche Höchstleistungen zu erbringen. Die Folge sind Fehler, die sie vor den größten Bankrott in ihrer Laufbahn bringen und eine schier unmenschliche Angst, die sie an den Rand des Wahnsinns treibt.

Erst mit Alexandre Gomez gelingt es ihr endlich jemanden von der Existenz des Schattens zu überzeugen. Dieser muss den Tod seiner jüngst verstorbenen großen Liebe noch verdauen und hat auch beruflich einen schwerwiegenden Fehler gemacht, der ihm eine Zwangsbeurlaubung einbringt. Mit der freien Zeit, die ihm nun zur Verfügung steht, begibt er sich auf die Suche nach dem Schatten und bringt sich damit selber in Gefahr. Auch Gomez ist auf den ersten Blick kein Sympathieträger, da er als ein sehr ungehobelter, teilweise schon aggressiver Charakter präsentiert wird. Allerdings kommt man nicht umhin, ihn doch auch zu mögen. Denn bei ihm passt einfach das Sprichwort: harte Schale, weicher Kern.

An dieser Stelle möchte ich jedoch auch diejenigen warnen, deren Nervenkostüm nicht so gut ausgestattet ist. Denn "Die Flüge, mein Engel, zerreiß ich dir" ist keine leichte Thriller-Kost, sondern harter Tobak, der den Leser atemlos durch die Handlung treibt und nichts für ängstliche Gemüter ist, auch wenn die Geschichte ohne großes Blutvergießen auskommt.

Fazit

"Die Flügel, mein Engel, zerreiß ich dir" ist ein Thriller der Meisterklasse, den ich jedem Liebhaber dieses Genre nur ans Herz legen kann. Spannende, beklemmende und unterhaltsame Lesestunden sind bei diesem Buch garantiert!