Rezension

Menschliche Einblicke

Begegnungen - Geschichten aus der Psychiatrie
von Rainer Güllich

Bewertet mit 5 Sternen

„...Aha, nicht die Psyche, endlich mal was Materielles...“

 

In dem Buch erzählt der Autor 22 Geschichten aus der Psychiatrie. 1988 hat er begonnen, als Ergotherapeut in einer gerontopsychiatrischen Abteilung zu arbeiten. Dort werden Menschen in höherem Lebensalter mit psychischen Problemen aufgenommen. Aus diesen Anfangsjahren stammen die Erzählungen.

Diese 22 Geschichten spielen die Vielfalt des Leben in der Psychiatrie wieder. Dazu gehört, dass natürlich unterschiedliche Krankheitsbilder , aber auch verschiedene Charaktere in den einzelnen Erzählungen enthalten sind.

Der Schriftstil ist gut lesbar und leicht verständlich. Fachbegriffe werden im Kontext oder am Beispiel erklärt.

Es gibt Geschichten, die einen feinen Humor beinhalten. Dazu gehört die erste Erzählung. Die Reaktion des Arztes auf das Geschehen habe ich als Eingangszitat gewählt. Nicht jeder würde es so gelassen hinnehmen, wenn Erbrochenes auf seinen Schuhen landet.

Einige Geschichten zeigen, dass ein Ergotherapeut oft in der Praxis dazu lernt. Zu den Angeboten gehört es, den Patienten vorzulesen und dann Fragen zum Text zu stellen. In „Die unendliche Geschichte“ wird klar, dass nicht jede Lektüre dafür geeignet ist. In „Anziehtraining“ zeigt sich, dass Theorie und Praxis manchmal zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe sind.

Die Ergotherapie ist ein Angebot, dass der Patient annehmen kann, aber nicht muss. In mehreren Erzählungen wird berichtet, wie schwierig es ist, Patienten dazu zu motivieren. Gelingt es, kommt es ab und zu zu überraschenden Ergebnissen.

Zu meinen Lieblingsgeschichten gehört „Der Direktor“. Jahrelang eingeübte Verhaltensmuster und gefestigtes Auftreten bleibt trotz Demenz erhalten.

Gut gefallen hat mir, dass der Autor die Patienten als Menschen mit Wünschen und eigenen Willen betrachtet. Er lässt ihnen trotz aller Defizite, die nicht verschwiegen werden, ihre Würde.

Wichtig ist das Nachwort. Eigentlich wäre es sogar als Vorwort günstiger, denn es enthält wesentliche Informationen zur Entstehung des Buches.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen.