Rezension

Mit einem Esel unterwegs auf der Via Podiensis

Muscheln am Weg - Carmen Rohrbach

Muscheln am Weg
von Carmen Rohrbach

Bewertet mit 4 Sternen

Ihre Reise auf der Via Podiensis, der angeblich Schönsten der alten französischen Pilgerstraßen, tritt die Autorin, die in Spanien bereits Camino-Erfahrung gesammelt hat, diesmal mit einem Esel namens Chocolat an. Ein mutiges Unterfangen, denn sie hat ihr Lasttier nur gemietet und bis dato überhaupt keine Erfahrung im Eselführen. Aber durch ihre offene, tierliebe Art schafft sie es schon bald, mit ihrem Eselchen zu einer guten Zweckgemeinschaft zu verschmelzen.

Nachdem mich die ersten Seiten noch nicht so mitgenommen haben, muss ich zum ersten Mal aufhorchen, als sie die Architektur der Kathedrale in Le Puy beschreibt, und ich stelle fest, dass Carmen Rohrbach durchaus eine begnadete Erzählerin ist. Sie schreibt stilsicher (meistens) und flüssig. Auch die Landschaftsbeschreibungen sind bildreich, sprachlich phantasievoll und stimmig; die Erzählung ist abwechslungsreich und dicht. Auch die Kapitelüberschriften hat sie geschickt gewählt. Und abgesehen von der völlig abgefahrenen und höchst ausführlich geschilderten Jakobuslegende finde ich auch die Heiligenlegenden und Hintergrundinformationen, die sie einflicht, sehr informativ.

Nur die Dialoge, wie soll ich es sagen ... sind reichlich, und manchmal kommen sie mir - obwohl, oder vielleicht gerade weil sprachlich so korrekt - ein wenig künstlich vor. Haben die Freunde auf dem Weg wirklich genauso gesprochen? Oft klingt es eher nach einer Art Quintessenz des Gesprächs. Dann aber wäre eine Schilderung ohne wörtliche Rede echter gewesen. Man erfährt allerdings durch diesen Gesprächs-Erzählstil durchaus Interessantes, zum Beispiel spannende Hintergrundinformationen über die Katharer. In diesem Zusammenhang gerät die Autorin allerdings in die Falle, die sie selbst kurz zuvor beschrieben hat, dass nämlich viele Vorstellungen, die wir heute über die Katharer haben, von ihren Feinden formuliert wurden und deshalb mit kritischer Vorsicht zu betrachten sind. Denn kurz darauf gibt sie leider selber unreflektiert die übelsten Pauschalisierungen wieder, die diese religiöse  Bewegung möglicherweise ungerechtfertigt in Verruf gebracht haben. Das ist für mich ein Schwachpunkt. Allerdings ist dies hier ein Reisebericht, oder, noch besser, ein Abenteuerbuch, das sich nicht mit wissenschaftlicher Korrektheit schmücken muss.

Ausgesprochen schön ist, wie Carmen Rohrbach die vielen Facetten des Regens schildert. Sympathisch wird sie mir, wenn sie auf die Verbalattacke einer militanten Tierfreundin ("Das ist Tierquälerei! Schlepp doch dein Gepäck selber!"), die nicht bereit ist, sich Gegenargumente anzuhören ("Ach vergiss es! Ich habe gesagt, was ich denke, mehr will ich darüber nicht reden"), mit einer weisen Parabel reagiert. Und es gibt auch Stellen, die mich richtig berührt haben, wie zum Beispiel, als sie ihren geliebten Reisebegleiter wieder auf seine heimische Wiese entlässt. Und andere, die mich zum Nachdenken gebracht haben, wie die Begegnung mit dem Rückwärtspilger, der auch den Heimweg von Santiago aus zu Fuß angetreten hatte.

Kurz und gut: ein spannender, leicht zu lesender ungewöhnlicher Erlebnisbericht mit vielen kurzweilig eingeflochtenen Details über Architektur, Naturkunde (die Autorin ist studierte Biologin) und historische Hintergründe.