Rezension

Mit Humor geht alles besser - auch Integration/Partizipation

Sind wir nicht alle ein bisschen Alman? -

Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?
von Sineb El Masrar

Bewertet mit 3 Sternen

Kurzmeinung: Comedy ist es nicht gerade.

Dieser Text ist ein bisschen was von allem. Ein bisschen Kolumnengequassel, ein bisschen Sprachwurzelsuche, ein bisschen Erfahrungsbericht, ein bisschen Pädagogik, erhobener Zeigefinger und ganz viel good will. Er hat humorvolle Anwandlungen, aber Comedy ist er nicht. Der Beitrag ist insofern dennoch zu begrüßen als er die Gehässigkeit und den Kampf aus der Integrations/Antirassimusdebatte zu nehmen versucht. Und mit Humor geht bekanntlich alles besser.
Deutsch ist also das Kennen und wenn möglich Schätzen der Sonntagsklassiker Tatort und des ZDF-Langweilers Traumschiff und Rosamunde Pilcher-Verfilmungen. Haha. Obwohl Pilcher ja ziemlich britisch ist. Klar, ist nicht so ernst gemeint von Al Masrar.

Den Erkenntnis-Zugewinn, den mir „Sind wir nicht alle ein bisschen Alman“ vermittelt, ist, dass es für die nachrückenden Generationen von Migranten nicht mehr so einfach ist, sich gefühlsmäßig „zurück“ zu wünschen ins Heimatland ihrer Eltern/Großeltern. Und wenn doch, ist es entweder nostalgisch oder unehrlich bis unvernünftig. Denn sie sind, mögen sie meckern so viel sie wollen, längst angekommen und haben „dort“ zwar noch Würzelchen, sind aber längst eine Art Alman. Und Alman ist eben divers. In jeder Hinsicht. Manche sind so und manche sind so. Und „dort“ gelten sie längst als Fremdgewächse.
Natürlich nimmt Sineb Al Masar in ihrem Text auch ein paar mehr oder weniger verrückte Verschwörungstheorien aufs Korn, solche wie die des heimlich angestrebten Bevölkerungsaustauschs und wendet sich auch ernsten Themen wie dem zunehmenden Antisemitismus sowie dem Israelbashing zu und kritisiert das Wahlverhalten der Menschen, die zwar in Deutschland leben, aber mit ihrem Wahlverhalten sich nachhaltig in das Leben der Menschen z.B. in der Türkei einmischen, ohne dass sie selber von den Konsequenzen betroffen sind. Findet sie blöd. Ich auch.

Manche früher vorherrschende deutsche Unsitten in Punkto Nichtgastfreundlichkeit mögen einem heute noch das Herz brechen, vor allem, wenn es sich gegen Kinder richtet. Aber diese Unsitten gehören der Vergangenheit an, auch „die Deutschen“ lernen dazu.
Die Klassifizierung in „Identitäts-Almans“, „Pionier-Almans“, „Phobie-Almans“, „Nudisten-Almans“ und „Postdemokratie-Almans“ ist ein bisschen lustig.

German-Angst und Kaffeeklatsch, Jogginghose, Pünktlichkeit, Vereinsmeierei, Ehrenamt und Modelleisenbahn und das geliebte Automobil, bescheiden oder protzig – für alles gibt es kurze Einlassungen. Warum auch nicht? Ist es vielleicht sogar das Auto, das uns alle miteinander verbindet? „Autovernarrte finden sich in allen Gruppen und sie sind so alman, wie Alman Autovernarrtheit symbolisieren kann. Es wird geschwärmt, gepflegt, aufgepimpt, gekauft und gefahren, was das Zeug hält. Während Hassan klischeehaft mit seinem tiefergelegten 3-er-BMW-Verbrennungsmotor durch die Stadt röhrt, rast Mareike mit dem SUV zum nächsten Freizeittermin ihrer Kinder.“ In diesem Zusammenhang finde ich die Seitenhiebe auf die Klimakleber erheiternd; aber ich halte es wie die (meisten) Chinesen und fahre Rad. Mir sind insofern Klimakleber wurscht. Ich male ein Plakat „Autobahnen zu Fahrradwegen“. Bitte, Last Generation, macht alle mit, dann werdet ihr mir sogar sympathisch. Aber fliegt nicht heimlich nach Bali. Weil das aus eurem Engagement pure Heuchelei macht.

Fazit: „Sind wir nicht alle ein bisschen Alman“ ist kein tiefschürfendes Buch. Es macht auf lustig, ist es auch gelegentlich, aber nicht oft, schlägt häufig ernste Töne an. Es ist insofern wertvoll, indem man sich einmal mit Vorurteilen oder Nichtvorurteilen gegenüber dem Mitmenschen und deren Ursachen beschäftigen kann, ohne gleich ein Universitätsstudium zu durchlaufen, um dem Text folgen zu können. Ich fürchte nur, diejenigen, die die Lektüre dringend bräuchten, werden es nicht lesen. Humor hin, Humor her. Zu seiner Verteidigung kann man noch sagen: das Buch ist schön kurz.

Kategorie: Sachbuch. Sort of.
Verlag: Herder, 2023