Rezension

Musikalische Freiheit? Oder Angst?

Der Lärm der Zeit - Julian Barnes

Der Lärm der Zeit
von Julian Barnes

Bewertet mit 3.5 Sternen

Dass Schostakowitsch ein schon zu Lebzeiten weltbekannter Komponist und Musiker war, ist für Barnes nur ein Aspekt seines Romans; wichtiger scheint ihm dessen Leben in wechselnden Diktaturen und unter verschiedenen repressiven Staatsformen zu sein. Hier steht natürlich die Frage im Mittelpunkt, ob und wie ein Mensch seine künstlerische Freiheit bewahren und für seine Berufung arbeiten kann, wenn er unter permanenter Beobachtung der Mächtigen steht und von deren Wohlwollen abhängig ist.

Die anfängliche Gunst Stalins wandelt sich bei einer Opernaufführung von „Lady Macbeth von Mzensk“, die der Diktatur erbost verlässt und zu der vernichtende Kritiken in den Zeitungen erscheinen – möglicherweise von Stalin selbst verfasst. Diese Aufführung beeinflusst Schostakowitschs gesamtes Leben auch über die Stalin-Ära hinaus, denn er vollendet keine Oper mehr.

Mit diesem Ereignis setzt das Buch ein: Schostakowitsch steht Nacht für Nacht neben dem Aufzug in seinem Haus und wartet auf Stalins Schergen. Doch er entgeht den Säuberungen knapp und durch Zufall. Obwohl er in den Folgejahren mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wird, begleitet die Angst ihn weiter, denn er weiß, dass er keinen Freibrief hat. Kompositionen, die Ärger erregen könnten, hält er vor der Öffentlichkeit zurück.

Barnes stellt Schostakowitsch als einen Mann dar, der keinen Widerstand leistet, der ständig mit seiner Feigheit ringt, weil er sich in entscheidenden Situationen der Staatsräson beugt und auch gegen seinen Willen und seine Überzeugung handelt.

Gleichzeitig macht er deutlich: Niemand hat das Recht, dieses Verhalten zu beurteilen oder zu ächten. Aber die Frage drängt sich auf, wie der Leser selbst gehandelt hätte. Nicht, weil Barnes diese Frage explizit stellen würde – so plump ist er nicht -, sondern weil das Buch wie alle guten Bücher den Leser zu elementaren Fragen an sich selbst provoziert.

Obwohl der Autor, wie er im Nachwort sagt, Hilfe von der ausgewiesenen Schostakowitsch-Expertin und Biographin Elizabeth Wilson bekam und sein Mauskript von ihr gegenlesen ließ, so dass das Buch, was die Eckdaten und historischen Recherchen angeht, verifiziert ist, kann man darüber nachdenken, wie ein solcher Roman bei den Kindern des Komponisten, die beide noch leben, ankommt.

Was ich persönlich vermisse: Die Musik. Romanbiographien über Künstler sollten deren Kunst im Kopf des Lesers entstehen lassen; leider ist dieses Buch stumm.