Rezension

„Na, wie ist heute die Luft da oben?“

Die Luft da oben - Pauline Keller

Die Luft da oben
von Pauline Keller

Bewertet mit 4 Sternen

Der Klappentext:

War es früher anders? Gab es eine Zeit, in der Lena dazugehörte? Eine Zeit, in der sie normal war, nicht auffiel? Eine Zeit, in der sie „hineinpasste“?

Lenas Geschichte packt: mit Eltern, die drücken, drängen und mit „den anderen“ vergleichen. Packt mit Verena, der besten Freundin - ... die keine Freundin ist, mit dem Schwager Manfred, einem Mister Oberwichtig, Pascha und spackig bis dorthinaus. Mit Christian, Lenas Freund, der für sie da ist, was auch passiert. Doch vor allem packt Lenas Größe, 1 Meter und 82 Zentimeter, die sich zwischen sie und andere Menschen zwängen. 1 Meter und 82 Zentimeter, die sie immer wieder aufs Neue verletzen.

Aufrichtig und mit schwarzem Humor erzählt Die Luft da oben von einer Außenseiterin. Es gelingt der Autorin, einen unsichtbaren Gegner sichtbar werden zu lassen - den mächtigsten Gegner, den ein junger Mensch haben kann: sich selbst.

Meine Meinung:

Ziemlich dünn ist die Luft da oben, zumindest für Lena mit ihrer Körpergröße von 182 cm. Seit Lena denken kann und ihr bewusst ist, dass sie so eine „Latte“ von Mensch ist, verurteilt sie sich und leidet unter diesem Umstand. Für mich persönlich ist die Verurteilung ihrer 1,82m erst mal unverständlich, da ich selbst gerne so groß wäre. Ich meine, ich bin auch nicht gerade klein, aber wenn man diese Maße hat, kann das durchaus auch seine Vorteile haben, so eine Größe kann man positiv nutzen. Lena aber konzentriert sich scheinbar nur auf das Negative ...

Als ich dann aber Lenas Familie und ihre „Freundin“ (diese Bezeichnung hat sie echt nicht verdient) Verena kennengelernt habe, ist mir klar geworden, warum Lena kaum Selbstbewusstsein hat und sich selbst gedanklich immer wieder runterzieht.

~ Andere sind all das, was ich nicht bin! Andere sind froh, dankbar, tüchtig, sparsam, ordentlich, selbstständig und schlafen am Wochenende nicht bis ultimo. Von klein auf wurde das in mein Hirn eingemeißelt. ~
(S. 75)

Ihre Familie ist schrecklich, sie haben alle ständig irgendetwas an ihr auszusetzen und geben ihr trotz all ihrer Erfolge das Gefühl eine Versagerin zu sein. Nichts kann man ihnen recht machen.
Ich an Lenas Stelle wäre schon auf und davon, denn ganz ehrlich: so eine Familie, die mir das Gefühl gibt, der letzte Dreck zu sein, brauche ich wirklich nicht!
Aber das schlimmste an der ganzen Sache ist ja, dass Lena durch all das, was sie gesagt bekommt, (unbewusst) sogar anfängt, sich selbst einzureden, dass sie versagen wird, dass sie nichts erreicht hat, dass sie nichts kann, ... und es dann natürlich auch zu glauben beginnt. Mit anderen Worten: Lena ist unglücklich, unsicher und weiß nicht, was sie will.

Für mich ist es heutzutage gar nicht mehr vorstellbar, wie eine Familie derart konservativ, überhaupt nicht einfühlsam, oberflächlich, nur auf schnellen Erfolg, viel Geld und Achtung bedacht sein kann. Wie kann es sein, dass tatsächlich noch Eltern existieren, denen es scheißegal ist, was ihre Tochter interessiert, was ihr wichtig ist?

~ Und wenn mir noch so viele Professoren nach den mündlichen Prüfungen die Hand geschüttelt und gratuliert haben, für meine Familie bin und bleibe ich die geborene Enttäuschung. ~
(S. 17)

Diese Geschichte ist also das beste Beispiel dafür, wie man einen Menschen verunsichern, ängstlich, ratlos, sich selbst verabscheuend und vor allem unglücklich machen kann. Wenn man es aber aus eigener Kraft schafft, sich aus so einem Umfeld zu lösen und anfängt positiv über sich und sein eigenes Leben zu denken, dann kann man nur den Hut ziehen. Denn unter solchen Umständen, wie sie Lena betreffen, ist das wahrlich nicht ganz einfach.

In anderen Rezensionen zu diesem Buch habe ich gelesen, dass das Ende als etwas „komisch“ empfunden wurde. Dem muss ich aber widersprechen, ich fand das Ende sehr erhellend und schön. Es findet ein recht großer Wandel in Lena statt, einerseits kam mir das auch ein wenig zu plötzlich, aber als unwahrscheinlich empfand ich es auch nicht. Denn: wenn man jahrelang durch äußere und innere Erniedrigungen in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt ist, und sich das immer mehr zur Unerträglichkeit aufstaut, dann ist aus meiner Sicht so ein plötzlicher Wandel/Befreiungsschlag, wie bei Lena am Schluss, in meinen Augen durchaus authentisch.