Rezension

Nachtarbeiter und ihr Netzwerk - ein Wohlfühlroman

Gute Nacht, Tokio -

Gute Nacht, Tokio
von Atsuhiro Yoshida

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die 27jährige Mitsuki Sawatari arbeitet als Requisiteurin beim Film und muss häufig in letzter Minute ein Requisit besorgen, ohne das die Dreharbeit undenkbar wäre. Tag und Nacht kann sie sich auf ein bewährtes Netzwerk verlassen, das vom Stamm-Taxifahrer reicht bis zu Herrn Ibaragi, der im gleichnamigen Geschäft antiken Werkzeugen eine neue Bedeutung andichtet. Der Stadtteil, in dem dieses Netz gespannt ist, gleicht einem Dorf, in dem jeder jeden kennt. Das gilt nur solange Atsuhiro Yoshidas Figuren Arbeitskleidung tragen oder an ihrem Arbeitsplatz zu finden sind. Am falschen Ort oder im unerwarteten Outfit wären sie sich vermutlich fremd.

Der nur 190 Seiten lange Episoden-Roman lässt typische Nachtarbeiter aufeinandertreffen wie Kanako von der Telefonseelsorge, Moriizumi, die im Zweitjob nachts überflüssige Festnetztelefone „bestattet“ oder die vier patenten Frauen, die gemeinsam das Bistro Drehkreuz eröffnen. Yoshidas teils exzentrische Figuren balancieren offenbar auf dünnem Seil; denn ihre Existenz baut darauf, dass Nachtarbeiter und ihre Stammgäste füreinander berechenbar bleiben. Würden dem Kino die Räume gekündigt oder Kunden und Dienstleister ihre Absprachen nicht einhalten, bedrohte das Existenzen. Besonders fragil wirkte das Geschäft des Nacht-Taxifahrer Matsui auf mich, der Konkurrenz von einem flinkeren handyaffinen jungen Kollegen zu fürchten hat. Neben dem beruflichen Zusammenhang eint die Figuren, das sie sich in ihrem Leben verirrt haben oder auf der Suche nach dem letzten Puzzlestück sind, ohne das ihr Leben sinnlos bleiben wird.

Besonders berührend fand ich die Symbolik des überflüssigen Festnetztelefons, an das Erinnerungen geknüpft sind, die so mancher Kunde nicht loslassen kann.

Dass die Begegnung mit Fremden völlig neue Perspektiven eröffnen kann und dabei ohne plumpe Ratschläge auskommt, macht den Roman zu einer zeitlosen Wohlfühllektüre, die viel zu schnell endet.