Rezension

Nenè, das Erwachsenwerden, der Krieg und die Mädchen

Die Pension Eva - Andrea Camilleri

Die Pension Eva
von Andrea Camilleri

Bewertet mit 4 Sternen

«Pension Eva» - so heißt das Bordell in der sizilianischen Stadt Vigàta. Hier hat der junge Nenè schon viele Stunden verbracht. Aber nicht, um mit den Frauen zu schlafen, sondern um sich ihre Geschichten erzählen zu lassen. Denn sie lehren ihn, das Leben zu verstehen. Und es gibt viel zu lernen für einen Jungen Mann im kriegsgeplagten Sizilien der vierziger Jahre. (von der rororo-Verlagsseite kopiert)

Ein halbwüchsiger Junge und seine erwachende Sexualität – das kann tragisch sein, komisch sein, am besten tragikomisch. So halt wie bei Camilleri.
Von Nenès ersten Doktorspielen mit der Kusine bis zum ersten Geschlechtsverkehr erzählt Camilleri die Entwicklung des Jungen aus dessen Augen. Die Angst, kein richtiger Mann zu werden, weil der Bart erst spät sprießt. Oder dass „er“ zu klein ist. Oder dass das Hantieren an sich selbst (im katholischen Sizilien vor 60 Jahren) eine Todsünde ist. All die Ängste und die Zweifel, die immer noch Heranwachsende prägen, schildert Camilleri stets lächelnd und mit viel Situationskomik, aber nie verletzend und immer mit Verständnis.

Doch leider verlässt er den Protagonisten. Nenè zieht wegen seines Schulbesuches nach Montelusa um, taucht erst wieder im letzten Kapitel auf. Warum greift ein routinierter Autor wie Camilleri zu dieser Wendung? Er weiß doch, dass ein Leser mit dem Abzug eines lieb gewonnenen Protagonisten in einem Roman den Halt verliert.
Tatsächlich bricht der Spannungsbogen ab. Was folgt, sind kleine Anekdoten aus dem Bordell rund um die Figuren, die man bereits kennt, und eine Aneinanderreihung von Kriegshandlungen und Bombenabwürfen über Sizilien. Schlimm, das weiß man als Leser, aber leider liefert der Autor nicht die Person, an deren Seite man die Angst um Leben, Besitz und Familie mitempfindet.
Es wirkt so, als hätte Camilleri eigentlich zwei Bücher entworfen und irgendwie zusammengebastelt.

Ein Roman, dessen Ton nach „guter alter Zeit“ klingt. Wo ein Bordell eine rundherum fröhliche Angelegenheit war, und wo zu arbeiten sich jedes Mädchen wünschen würde. Die Schrullen der Madame sind erträglich, man kann Geld beiseite legen, hat wundersame, liebevolle und erotische Begegnungen mit tollen Männern, die das Vergnügen suchen und bekommen, das ihnen zusteht.

Der Autor schreibt wunderbare Märchen (z.B. „Die Frau aus dem Meer“), originelle Krimis (Montalbano-Reihe), spritzige Geschichten aus Siziliens Historie (z.B. „Die Revolution des Mondes“), aber dieses Buch wirkt, als hätte er nicht gewusst, welches Genre er bedienen, wie er es aufbauen und was er dem Leser tatsächlich nahe bringen wollte. Zumindest weiß er dies, denn am Ende des Buches, in seinen Anmerkungen, sagt er selbst, sein Roman ließe sich nicht einordnen.

Camilleri ist einfach ein Routinier der leicht ernsthaften Unterhaltung. Doch dieses Buch ist nicht sein größter Wurf, und der größte Fehler ist es, Nenè verschwinden zu lassen.
Dennoch: In den ersten Kapiteln, in denen der Junge der Protagonist ist, habe ich mich erstklassig unterhalten, daher eine gute Bewertung.