Rezension

Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer. – Seneca

The Fortunate Ones -

The Fortunate Ones
von Catherine Hokin

Bewertet mit 5 Sternen

1941-1956. Gerade erst 18 Jahre alt, ist die Zukunft der aus einer reichen Fabrikantenfamilie stammenden Inge Ackermann schon vorgezeichnet, denn ihr steht eine arrangierte Ehe mit dem 15 Jahre älteren Arzt Maximilian Eichel bevor, der noch dazu ein angesehenes Mitglied der NSDAP ist. Bevor Inge heiratet, lässt sie sich von ihrer Freundin Liesel zu einem nächtlichen Ausflug in ein Berliner Ballhaus überreden, wo sie auf den Druckerlehrling und Halbjuden Felix Thalberg trifft, der sofort ihr Herz erobert. Als die beiden sich trennen müssen, nennt Inge ihm zu ihrem eigenen Schutz einen falschen Namen, während Felix auf ein neues Treffen hofft. Inge sieht Felix erst im KZ Sachsenhausen wieder, wo sie mit ihrem Ehemann Max einen Rundgang macht. Die Begegnung ist nur kurz, denn Felix ist dort als Inhaftierter, während Inge die Ehefrau eines Lagerarztes ist. Doch sie reicht aus, um Felix das Leben fürs Erste zu retten und in der Druckerei des Lagers arbeiten zu lassen. Felix muss jeden Tag aufs Neue für sein Leben kämpfen, aber auch Inge muss eine harte Zeit überstehen. Werden sich Felix und Inge je wiedersehen?

Catherine Hokin hat mit „Alles Glück, das wir hatten“ einen sehr berührenden, historischen Roman vorgelegt, der dem Leser nicht nur das Schicksal zweier Menschen nahebringt, sondern auch in schonungsloser Art die Gräuel der Nazi-Zeit offenlegt. Der flüssige, bildgewaltige und emotionale Erzählstil bringt den Leser mitten in die Kriegsjahre des vergangenen Jahrhunderts, wo er abwechselnd mal an der Seite von Inge alias Helen, mal an der Seite von Felix steht und ihnen bei ihrem alltäglichen Leben über die Schulter sieht. Während man Inge dabei beobachtet, wie sie sich den Wünschen der gefühlskalten Eltern fügt und einen fast doppelt so alten Mann heiratet, der sie dann ebenfalls bevormundet und misshandelt, durchlebt der Leser bei Felix eine wahre Achterbahn der Gefühlswelt. Als Halbjude muss er nicht nur den Zusammenbruch seines Vaters und den Verlust seiner Eltern ertragen, er wird ebenfalls in ein KZ gesteckt, wo er Tag für Tag Folter über sich ergehen und ums Überleben kämpfen muss, bis er 1945 endlich von den Amerikanern befreit wird und sich ihm ein neues Leben eröffnet. Inge, die das wahre Gesicht ihres Ehemannes nur langsam erkennt sowie dessen unmenschlichen Behandlungsmethoden bei den Gefangenen herausfindet, sucht verzweifelt einen Ausweg, sich von Max zu befreien. Während der Leser Felix‘ schweren Weg emotional mitbegleitet, geht er zu Inge weitestgehend auf Distanz. Die Autorin schafft es sehr gut, beide Lebenswege mit dem historischen Hintergrund zu verknüpfen und viel Atmosphäre in die Geschichte zu bringen. Einige unvorhergesehene Wendungen bringen zudem Spannung hinein.

Die Charaktere sind realistisch ausgestaltet und besitzen glaubwürdige menschliche Eigenschaften. Der Leser hängt sich vor allem an Felix‘ Fersen, dessen Schicksal sehr zu Herzen geht. Felix ist ein liebenswerter, ehrlicher Mann, der mutig, stark und hilfsbereit ist, aber auch auf bestimmte Dinge sehr fixiert ist, die ihm den Blick auf anderes verstellen. Inge dagegen ist durchweg sehr naiv, wankelmütig und ohne jegliche Initiative. Erst in den letzten Kapiteln entwickelt sie sich zu einer starken Frau. Max Eichel ist ein manipulativer Widerling, der von der Nazi-Doktrin völlig verblendet ist und es genießt, andere klein zu halten und zu verletzen. Ebenso schrecklich sind Inges Eltern, wobei Mutter Gretes Kaltherzigkeit kaum zu überbieten ist.

„Alles Glück, das wir hatten“ ist ein sehr unterhaltsamer historischer Roman, der den Leser mit zwei Kriegsschicksalen durch eine wahre Gefühlsachterbahn schickt und ihn bis zum Ende an den Seiten kleben lässt. Absolute Leseempfehlung!