Rezension

NOCH besser als erwartet

Verblendung - Stieg Larsson

Verblendung
von Stieg Larsson

Bewertet mit 5 Sternen

Ich habe das Hörbuch von audible gehört - ich finde das hier leider nicht. Gesprochen von Dietmar Bär.

Was schreibt man über ein Buch, das fast alle kennen, ob als Buch oder als Film?
Der Klappentext verrät fast schon zu viel: Da ist zu Beginn des Buches Lisbeth Salander, die als Ermittlerin freischaffend für Milton Securities arbeitet: sie findet heraus, ob jemand „Dreck am Stecken“ hat, der beispielsweise für einen wichtigen Job bei Wirtschaftsunternehmen in Frage kommt. Sie soll für einen solchen Wirtschafts-Kunden Mikael Blomkvist überprüfen, Journalist, Mitbegründer und –eigentümer der kritischen Zeitschrift Millenium. Zur Zeit hat er juristischen Ärger, weil er bei einem Beitrag einer falschen Information aufgesessen ist und dafür verklagt wurde vom Industriellen Wennerström. Und auch den soll Lisbeth für den gleichen Auftraggeber überprüfen, bis…

Ich hatte einen etwas seltsamen Einstieg in die Reihe: zuerst habe ich die Filme gesehen, aber nicht chronologisch, dazwischen irgendwann halb Band 3 gelesen, zuletzt eine Audioversion gehört mit einer der Fortführungen der Reihe, die von David Lagercrantz geschrieben wurde. Ich habe mich dann entschieden, ganz altmodisch von vorne anzufangen ;-)

Zu kritisieren habe ich bei Band 1 ausschließlich die ziemlich schwachsinnigen deutschen Titel, die bei mir immer zu Verwechselungen führen. Die englische Version ist nicht viel besser, immerhin hat „The Girl with the Dragoon Tattoo“ beim mir stärker eine Möglichkeit der Zuordnung zum richtigen Band, als alle Titel mit „Ver…“ beginnen zu lassen. Das Original für „Verblendung“ heißt Män som hatar kvinnor (deutsch laut Google „Männer, die Frauen hassen“) – das passt zu mehreren Aussagen im Buch und zu mehreren Handlungssträngen, es ist aber auch ein starkes Statement. Im Buch geht es um Handlungen, die letztlich nichts anderes bedeuten können, und Larsson wird hier deutlich: wenn ein gesetzlicher Betreuer seiner Betreuten neue „Spielregeln“ verkündigt, nämlich „Blowjob gegen Zugriff auf das selbst verdiente Geld“, wird das hier nicht als sexuelle Nötigung oder Übergriff bezeichnet, sondern als Vergewaltigung, als etwas, was die andere Person nicht wollte, ihr aber mit Gewalt oder durch ein Machtgefüge aufgezwungen wurde. Damit unterscheidet sich Larsson deutlich von sonst üblichen sprachlichen Regelungen. Ich unterlasse auch dieses Mal die sonst übliche Warnung für Sensible, obgleich es zwei eindeutige „live“-Szenen mit sexueller Gewalt gibt und mehrere historische Polizeiberichte, ich hatte mitnichten  das Gefühl von Sensationshascherei oder gar Slasher-Ekel.

Dazu kommen die ziemlich außergewöhnlichen Protagonisten, besonders natürlich Lisbeth, die Frau mit noch bislang ungeklärter Vergangenheit, die sich definitiv nicht als Opfer sehen will, egal, was passiert. Da kommt es schon einmal mit Mikael zur Konfrontation über eine vergewaltigte Frau, darüber, ob man sich einfach entziehen darf, weil man es nicht mehr aushält (Mikael), oder, ob man gefälligst für die Verurteilung eines Täters zu sorgen habe, auch, um andere zu schützen (Lisbeth). Mikael definiert sich primär durch sein starkes berufliches Ethos und ein ansonsten lockeres Herangehen an das Leben, er ist so der Typ, um ein Bierchen mit ihm zu trinken (so ähnlich kam er auch an die falschen Informationen). Lisbeth hingegen ist, vorsichtig gesagt, schwierig. Sie entspricht vermutlich eher meinem „Anti-Bild“, sie trägt Tattoos, mag sich nicht einpassen, ist nicht kommunikativ, raucht Kette – und ich finde sie schlicht toll. Sie ist nämlich auch intelligent, keine „Tussi“ und ziemlich loyal.

Und die Handlung? Das ist so richtig clever. Neben Mikael Ausgangsproblem, der prekären Lage, in die ihn und das Magazin sein nicht haltbarer Artikel gebracht hat, bekommt er noch einen weiteren Auftrag sowie einen „offiziellen“, zur Tarnung. Er muss da also so einiges tun, gerät auch bald in arge Bedrängnis und benötigt dann Hilfe. Es geht also um mehr als einen Fall, und dazu kommen noch etliche menschliche Probleme sowie die Frage, was denn nun eigentlich mit Lisbeth los ist.

Geht das als Hörbuch? Ja, überraschend gut (auch wenn ich gegoogelt habe, ob man Vennerström oder Wenner-irgendwas schreibt und Bloomkv oder Blomqu…). Und ich hätte mir definitiv bei einem Buch eine Ahnenreihe der Familie Vanger gemacht, weil ich sowas dauernd tue – und dann feststelle, dass es auch so geht, sogar ohne Probleme. Dietmar Wunder macht das toll, in Band 5 war ich ja hin- und hergerissen, hier passt es für mich perfekt, gerade auch bei den Frauen.

Und die Filme? Ich war überrascht, wie nah an der Handlung die Filme geblieben sind, natürlich fehlen die Innenansichten der Personen (gerade bei Lisbeth, der mehr analysiert und wenig spricht, sehr wichtig). Ich ergänze dazu noch, eines der Videos habe ich hier. Die Vergewaltigungen sind in den Filmen definitiv härter.

Klare 5 Sterne, sehr gut als Hörbuch geeignet.