Rezension

Odyssee im Leichenwagen

Thymian und Blut - Anne Kuhlmeyer

Thymian und Blut
von Anne Kuhlmeyer

Bewertet mit 4 Sternen

Ungewöhnlich und absolut lesenswert

Eine Rezension will mir nicht gelingen, das hier ist der Versuch einer Annäherung an den Text.

Ein Krimi ist es nicht, eher eine Art Experiment, sagt die Autorin. Aha, denk ich mir, hin und her gerissen zwischen Skepsis und Neugier, aber ohne allzu große Erwartungen. Vielleicht ist das die richtige Herangehensweise an diesen Text, der zu lang für eine Kurzgeschichte und zu kurz für einen Roman ist. Nach ein paar kurzen Kapiteln hat mich "Thymian und Blut" schon in seinen Bann gezogen.

Ella hat es aus ihrem Leben hinauskatapultiert. Ihre Liebe ist gestorben, ihr Job verloren. Haltlos treibt sie dahin, fährt mit einem umgebauten Leichenwagen von Ort zu Ort. Begleitet von ihren Alter Egos Elisabeth und Sissi sucht, sie ihren Weg, einen Halt, einen Sinn oder einfach nur sich selbst. Eine Suche, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. „Ella hat alles was sie braucht. Eigentlich. Geld, Arbeit, Anerkennung, eine Jeans auf dem Hintern und ein Frühstück in Aussicht. Das müsste doch genügen. … Und einen Freund hat sie auch. Nur keinen Weg.“ Wer zwischen den Zeilen liest, weiß wo dieser Road-Trip hinführen wird. Denn um überhaupt noch funktionieren zu können, braucht Anästhesistin Ella Morphium.

Andere Autoren brauchen Jahre, einige müssen sich komplett neu erfinden, Anne Kuhlmeyer schafft es auf Anhieb. Sie hat einen unverwechselbaren Stil gefunden, irgendwo zwischen Prosa und Lyrik und das liest sich überraschend gut.

Nein, ich habe nicht alles verstanden. Genau wie Ella konnte ich irgendwann nicht mehr zwischen Traum, Phantasie und Realität unterscheiden. Wie war das noch mal mit Anna und Hans? Gab es die wirklich oder sind sie dem Morphium zuzuschreiben? Ich neige eher zu der Annahme, dass Anna eine andere Version von Ella ist. Eine, wie es sein könnte wenn … Aber so ist es nun mal nicht. „Ella hat die Liebe behalten, die ihr John vermacht hat … und keinen Ort für sie. Sie sollte sich begnügen. Mit dem warmen Bett, dem Retten und dem Sattsein.“

Es wäre zu viel gesagt, würde ich behaupten, mir hätte das Lesen von "Thymian und Blut" Spaß gemacht. Dazu ist die Geschichte zu düster und zu traurig. Aber es hat mir gefallen. Ellas Sinnsuche hat mich berührt, ohne an irgendeiner Stelle sentimental zu werden.

Einen Kritikpunkt habe ich aber. Zu viele medizinische Fachtermini. Klar, Ella ist Ärztin und Anne Kuhlmeyer ist es auch. Aber die medizinisch nicht ausgebildete Leserschaft, zu der ich mich auch zähle, tut sich schwer damit. Hier hätte ein guter Lektor Wunder wirken können.