Rezension

Opportunismus oder Zivilcourage? Ein weiterhin aktuelles Thema

Wenn die Lichter ausgehen - Erika Mann

Wenn die Lichter ausgehen
von Erika Mann

Bewertet mit 4.5 Sternen

»Wenn die Lichter ausgehen« erschien, von Maurice Samuel ins Englische übersetzt, 1940 bei einem Londoner und einem New Yorker Verlag; da das deutsche Originalmanuskript nicht mehr vorliegt, wurde das Buch für diese Ausgabe, die deutsche Erstausgabe, rückübersetzt – der Text liest sich aber, als wäre er so auf Deutsch geschrieben worden.

Erika Mann erzählt in zehn Geschichten, die in einer Stadt in Süddeutschland spielen, wie sich Deutschland unter der Naziherrschaft verändert und wie die Menschen sich dazu verhalten. Die Episoden sind voneinander unabhängig, aber durch den gemeinsamen Ort und historischen Hintergrund verklammert sowie dadurch, dass gelegentlich Personen aus der einen auch in einer anderen Geschichte auftauchen. Alle »Geschichten, Tragödien, Personen, Ereignisse, Entwicklungen, Gesetze, Statistiken und Äußerungen, von denen hier berichtet wird, beruhen samt und sonders auf Tatsachen«, so Erika Mann. Es gebe »keinen einzigen Vorfall, von dem die Autorin nicht durch die unmittelbar Betroffenen oder durch absolut glaubwürdige Zeugen erfahren hätte« (S. 267; Seitenzahlen nach der Hardcover-Ausgabe von 2005).

Die Geschichten sind spannend erzählt und geschickt aufgebaut. Zu Beginn jeder Episode wird jeweils in einigen Zeilen eine harmonisch-idyllische Alltagsszene skizziert, zu der die geschilderte Realität in umso größerem Kontrast steht. »In unserer Stadt gingen die Leute immer noch in die Kirche, sooft sie wollten. Daran konnte man erkennen, daß Religionsfreiheit herrschte« (S. 151), heißt es vor Beginn von Kapitel 7 »Leidensgenossen«, und darauf folgt die Geschichte von Menschen, die aus verschiedenen Gründen im Gefängnis sitzen: u.a. die Geschichte des Pfarrers Dr. Gebhardt (d.i. der Theologe Kuno Fiedler, 1895–1973), der in Haft kam, weil er in einer Predigt mutig das Versagen seiner Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus angeprangert hatte, und von seiner abenteuerlichen Flucht.

Erika Mann berichtet von der auf den Krieg hin orientierten Wirtschaft, von der Gleichschaltung der Gesellschaft und ihrer Unterwerfung unter nationalsozialistische Ideologie u.a. in Rechtsprechung, Medizin, Presse, von Judendiskriminierung und Pogromnacht. Es werden die unterschiedlichsten Menschen und die verschiedensten Weisen, sich zu den Situationen zu stellen, beschrieben: Mitmachen aus Opportunismus, um Problemen auszuweichen, Opportunismus um des eigenen Vorteils willen, Gleichgültigkeit, offener oder verdeckter Widerspruch, Mut, Versagen, Sich-Bewähren.

Ein Fabrikbesitzer etwa liebt seine Sekretärin und wendet sich sofort von ihr ab, als er erfährt, dass ihre Mutter Jüdin ist. Der Mediziner Prof. Scherbach kümmert sich nicht um die Verfolgung von Juden und Oppositionellen, doch stört es ihn, als Nazi-Ideologie statt Qualifikation und Wissen in seinem Bereich bestimmend werden; er erkennt, wie falsch seine Haltung war, als eine Frau ins Krankenhaus eingeliefert wird, die eine Gehirnblutung erlitt, nachdem sie erfuhr, dass ihr Sohn von SA-Männern ermordet wurde.

Der Gestapochef der Stadt hat keine größeren Probleme mit seiner Regierung und ihren Befehlen, aber vor der Pogromnacht warnt er möglichst viele Juden und versucht sie zu schützen; er muss selbst ins Ausland fliehen und fürchtet, nach Deutschland ausgeliefert zu werden. Ein Mann kommt ins Gefängnis, weil er Witze über Hitler erzählt hat; er ärgert sich über diese »Dummheit« – sein Geld verdient er damit, dass er Schilder mit der Aufschrift »Dieses Dorf ist judenfrei« verkauft.

Erika Manns Zyklus, so Irmela von der Lühe in ihrem Nachwort, ermöglicht »Einblicke in die mentale Disposition einer Durchschnittsbevölkerung, die sich weder zum einen noch zum anderen veranlaßt sah, sondern nichts wollte als die Fortführung ihres alltäglichen Lebens« (S. 307 f.). Beispiel für eine mögliche Wandlung ist Scherbach, der zur Mutter des Ermordeten sagt: »Das ist eine furchtbare, verabscheuungswürdige und unverzeihliche Geschichte. Glauben Sie nicht, daß wir das noch länger dulden.« (S. 215) »Wir alle sind schuld daran […]. Ich bin hiergeblieben, um Ihnen zu sagen, daß ich das weiß.« (S. 216)

Erika Manns Buch berührt und bewegt seine Leser; sie nehmen an den geschilderten Schicksalen Anteil oder empfinden Wut über Ungerechtigkeit und Verbrechen. Das Thema von Opportunismus oder Zivilcourage in einer menschenfeindlichen Umgebung bleibt auch heute aktuell.