Rezension

Politische Ereignisse detailliert aufgearbeitet

Die Tage von Gezi - Martin Niessen

Die Tage von Gezi
von Martin Niessen

Bewertet mit 3.5 Sternen

Baumfällungen in einem kleinen Park in Istanbul führen zu einem Aufstand gegen die türkische Regierung. Bürgerkriegsähnliche Zustände mit tausenden Verletzten, Verhaftungen und Toten sind das traurige Ergebnis. Anhand von drei Personen unterschiedlicher Herkunft wird das Geschehen aus deren Sichtweise dargestellt. Die deutsche Architektin Kathrin hat in Istanbul ihre Heimat gefunden. Der britische Reporter Marc will eigentlich nur seinen Urlaub hier verbringen und läßt sich in den Strudel des Aufstands hineinziehen und die junge Türkin Mine gibt ihre politische Teilnahmslosigkeit auf und engagiert sich für Recht und politische Freiheit in der Türkei.

Der Autor Martin Niessen hat sich mit "Die Tage von Gezi" an ein schwieriges Thema gewagt und statt einer Reportage die Form eines Romans gewählt. Besonders die gut recherchierten Hintergrundinformationen über die politischen Ereignisse fallen hier ins Gewicht.
Durch die verschiedenen Handlungsstränge, die die drei Hauptprotagonisten begleiten, leidet ein wenig der Lesefluss. An manchen Stellen wäre ich gern länger und detaillierter informiert worden.

Müsste ich den reinen Roman beurteilen, hätte ich große Schwierigkeiten. Es gab zu viele Wiederholungen von einfachen Tätigkeiten wie Frühstücksszenen, die Suche nach Internetanschlüssen etc. Die Protagonisten wirkten ein wenig farblos und waren oberflächlich beschrieben. Die Gefühle zwischen Marc und Mine wollten so gar nicht zum brisanten Thema passen.

Was mich aber gefesselt hat, waren die Geschehnisse rund um die Proteste vom Mai und Juni 2013 in der Türkei. Sicher hat man die Berichte im Fernsehen verfolgt, war schockiert über die Vorgehensweise der türkischen Regierung. Aber wie das in der heutigen Zeit nun mal so ist, man vergisst schnell wieder. Dieses Buch rüttelt auf und macht neugierig.
Besonders gefallen hat mir die Sicht der Türkin Mine. Anfangs wirkt sie sehr verzogen, wohlbehütet und teilnahmslos. Für die Arbeit ihres Ehemannes, eines Polizisten im Sondereinsatzkommando bei Demonstrationen, bringt sie wenig Interesse auf. Dies ändert sich schlagartig als Mine sich für die Demonstrationen im Gezi-Park engagiert. Plötzlich stehen sich Mann und Frau auf unterschiedlichen Seiten gegenüber.
Das Engagement der türkischen Jugendlichen ohne Angst vor Konsequenzen und mit dem Bewusstsein körperlichen Schaden zu nehmen, an den Demonstrationen festzuhalten ist bewundernswert.

Schockierend waren die Berichte über die politischen Entscheidungen. Das skrupellose Vorgehen gegen friedvolle Demonstranten und die tatsächlich angewandte Gewalt gegen Frauen und Kinder während eines Parkfestes.

Man wünscht der Türkei, dass Ruhe einkehrt und sich das Land in die richtige Richtung wendet.

Zwei Sterne habe ich abgezogen, weil die Romanhandlung dem wirklich guten Tatensachenbericht nicht zuträglich war.