Rezension

Prägung und Schmerz

Vom Aufstehen -

Vom Aufstehen
von Helga Schubert

Bewertet mit 4 Sternen

Da ich von der Autorin noch nie etwas gehört habe und ihre Texte recht spezifisch sind, kamen mir ihre eindrücklichen Sätze so wenig verortet vor, dass ich regelrecht ärgerlich wurde. Doch nach und nach kommt man hinter den autobiografischen Lebenslauf. Denoch wäre ausnahmsweise ein Vorwort hilfreich gewesen. Obwohl Vorworte so oft überflüssig sind und langweilen ..., wärs hier unabdingbar gewesen zum besseren Verständnis. Auch die Info, dass Helga Schubert für ihren Text "Vom Aufstehen" 2020 den BachmannPreis erhalten hat, wäre interessant gewesen. Na, ihr wisst es jetzt.

Was prägt uns? In den Texten, mal sehr kurz, mal etwas länger, von Helga Schubert sind die wesentlichen Prägungen auf das Leben der Autorin gut erkennbar. Es ist ein sehr persönliches Buch. 

 Ein Kriegskind nennt sie sich, 1940 geboren. Die Mutter zuerst aus Berlin evakuiert, dann aus Hinterpommern geflüchtet. Das Kind, also die Autorin, schwerkrank irgendwo angekommen. Von freundlichen Menschen zu einem Arzt geschafft, sonst wäre sie, Helga, gestorben. 

Im Osten gelebt. Widerwillig. Widerständig. Scheinangepaßt. Im Westen schließlich mit dummen Fragen „Fühlen Sie sich als DDR-Schriftstellerin?“ gelöchert, dem äußeren Frieden einen inneren Frieden abgepressst, aber immer noch unter den Nachklängen der Diktatur gelitten. Diktatur macht etwas mit dir. Ob du willst oder nicht. 

Die Texte im Buch sind spröde. Nicht leicht erschließbar und kommen dir dann doch nahe. Das äußerst schmerzhafte Verhältnis zur Mutter, die uralt wurde, das eigene Alter, die Autorin ist jetzt 81 Jahre alt wiegt etwas, ein pflegebedürftiger Mann. 

 Helga Schuberts Sprache ist sprunghaft, lyrisch, assoziativ, thematisch läßt sie sich von ihren Gedanken tragen. Kommt immer wieder auf das Wesentlichste zurück. 

Was ist das Wesentliche? Das müssen wir uns alle fragen. Das Gute im Bösen erkennen? Das Kleine schätzen lernen? Sich selber kennen. Einen Glauben haben. Etwas mit Worten festhalten. Etwas zu bewältigen versuchen. Was ich in diesem Buch in jedem Text finde, ist Schmerz. Schmerz, der nicht für sich stehen bleiben kann. Mit dem man etwas machen muss. 

Helga Schuberts Texte in „Vom Aufstehen“ sind anspruchsvoll. Man muss tief eintauchen und langsam lesen. Man versteht nicht alles, aber was man versteht, ist, dass eine Diktatur noch jahrzehntelang nach ihrem Untergang Spuren hinterläßt. Und dass Schmerz unvermeidlich ist. Jeden Morgen Aufstehen könnte mitunter das einzige Mittel sein, ihn zu bewältigen. 

Fazit: Anspruchsvoll.  

Besonderheiten: Bachmann-Preis 2020

Kategorie: Kurze Texte/Kurzgeschichten
Verlag dtv, 2021

Kommentare

Emswashed kommentierte am 18. April 2021 um 15:51

Nicht nur Diktaturen machen etwas mit uns.... bringen aber wohl die besseren Resultate für eine öffentliche/schriftstellerische Verarbeitung. Vielleicht ist es aber auch nur der Gegensatz und man ist für die eigene Blindheit blind.