Rezension

Rache!

Die Bäume -

Die Bäume
von Percival Everett

Bewertet mit 4 Sternen

Ein interessanter und unterhaltsamer Genremix rund um das Thema Rassenhass in den USA - mit aktuellen Bezügen. Nur am Ende schwächelnd...

USA, Anfang des 21. Jahrhunderts: Im Städtchen Money in den Südstaaten werden mehrere Männer ermordet: meist dick, doof und weiß. Neben jeder Leiche taucht ein Körper auf, der die Züge von Emmett Till trägt, eines 1955 gelynchten schwarzen Jungen. Zwei afroamerikanische Detektive ermitteln, doch der Sheriff sowie eine Gruppe hartnäckiger Rednecks setzen ihnen erbitterten Widerstand entgegen. Als sich die Morde auf ganz Amerika ausweiten, suchen die Detektive des Rätsels Lösung in den Archiven von Mama Z, die seit Jahrzehnten Buch führt über die Opfer der Lynchjustiz in Money. (Klappentext)

Eines schon mal gleich vorweg: solch ein Buch habe ich bislang noch nicht gelesen! Was wie ein hardboiled Thriller beginnt, entpuppt sich bald schon fast als Parodie, denn gerade zu Beginn gibt es sehr viele humorvolle Passagen, und später - ein Abgleiten über Horror in den magischen Realismus bis hin ins Surreale. Ein Genremix, der seinesgleichen sucht, hier aber rund um ein in den USA immer noch gerne totgeschwiegenes Thema ein dickes Ausrufezeichen setzt!

 

"Eines gilt für jeden Weißen in diesem County: Wenn er nicht selber jemanden gelyncht hat, dann hat es jemand in seinem Stammbaum getan." (S. 125)

 

Mississippi ist und war der wohl rassistischste Staat in Amerika. Hier hat der Hass auf Schwarze eine lange Tradition, war der Ku Klux Klan fest etabliert, Lynchjustiz an der Tagesordnung. Percival Everett siedelt seinen Roman mitten in Trumpland in dem kleinen Städtchen Money an, in dem es zu ersten unerklärlichen Morden an Weißen kommt. Das Entsetzen im Ort ist groß, zumal neben jeder Leiche noch der tote Körper eines schwarzen Jungen liegt, der dem 1955 gelynchten Emmett Till gleicht, der aber danach jedesmal wieder auf unerklärliche Weise verschwindet.

Als dem Sheriffbüro zwei afroamerikanische Detectives zur Seite gestellt werden, fühlen sich die ortsansässigen Polizisten bevormundet, die Vorurteile Schwarz vs. Weiß funktionieren auf beiden Seiten. Doch auch wenn die Sheriffs in Money zurecht größtenteils rasch als rassistische Dumpfbacken entlarvt werden, können auch die schwarzen Detectives weitere Morde nicht verhindern. Und die erweisen sich nur zu bald schon als sehr inflationär...

 

"Alle reden von Völkermord überall auf der Welt, aber wenn das Morden langsam stattfindet und auf hundert Jahre verteilt, nimmt es keiner wahr." (S. 347)

 

Der Roman ist sehr dialoglastig, und so manchesmal entwickeln sich dabei regelrechte Scharmützel gespickt mit schwarzem Humor und Situationskomik. Dies nimmt der Ernsthaftigkeit des zugrundeliegenden Themas jedoch nichts von seiner Brisanz - eine eigenartig gelungene Mischung. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Roman auch der Namensgebung zu. Während die Namen der erwähnten schwarzen Toten offenbar einen traurigen Realitätsbezug haben (alles Lynchopfer der letzten Jahrhunderte), erweisen sich die Namen von Orten oder auch von weißen Personen als Fundgrube der Hintergründigkeit. So heißt beispielsweise die Vortortsiedlung in Money, in der das erste Mordopfer aufgefunden wurde und wo Menschen leben, die abfällig als "White Trash“ bezeichnet werden könnten, bezeichnenderweise "Small Chance", und die tumben Hilfssheriffs in Money - Dalroy Digby und Braden Brady - da ist die Anzahl der Gehirnzellen schon allein aufgrund der Namensgebung begrenzt. Der Autor hatte jedenfalls offenbar auch seinen Spaß beim Schreiben...

Lange Zeit lebt der Roman von der Spannung, wer oder was hinter den zunehmenden Morden steckt. Eine Rache-Gruppe? Radikale Hardliner? Die Auflösung ist - überraschend. Leider ließ der Roman mich jedoch zuletzt ratlos zurück. Sicher ein bewusst gewähltes Abgleiten ins Uferlose, das deutlich macht, wie viele unzählige schwarze (und asiatische!) Lynchofper es während der vergangenen Jahrhunderte gab und bis heute gibt. Die Anzahl der Morde hier übersteigt irgendwann jedoch das Fassungsvermögen. Für mich zerfaserte der Roman dadurch am Ende zu sehr, es gab kaum noch Zusammenhängendes, zwar einige Erklärungen, aber im Grunde keine Ermittlungen mehr, da zwecklos. Mehr kann ich dazu nicht erwähnen ohne zu spoilern, deshalb soll hier mein spontaner Gedanke nach dem Zuschlagen des Romans reichen: "Ja, und jetzt?!"

Das soll aber nicht verleugnen, dass es sich hierbei um ein faszinierendes Leseerlebnis handelt, das gerade durch den so verrückten Genremix einen eigenartigen Sog entwickelt. Percival Everett gibt hiermit den zahllosen Opfern von willkürlicher und ungeahndeter jahrhundertelanger Lynchjustiz ein Gesicht - und weist dabei auch auf aktuelle Bezüge hin. Insofern ging sein Plan definitiv auf - und nicht von ungefähr landete der Roman auch auf der Shortlist für den Booker Preis 2022.

Ein komplett anderer Roman, der Unterhaltung und Ernsthaftigkeit auf verblüffende Weise verbindet.

 

© Parden