Rezension

Reichhaltig und lesenswert

The Sleepwalkers - Christopher Clark

The Sleepwalkers
von Christopher Clark

Bewertet mit 4.5 Sternen

Endlich habe ich mich auch daran begeben, The Sleepwalkers zu lesen. In der Presse wurde das Werk als Revolution gefeiert. In der Geschichtswissenschaft war es quasi omnipräsent – und das zu recht.

Zwar sind die Erkenntnisse Clarks nicht ganz so revolutionär, wie es dem Laien vorkommt, aber es erarbeitet quellennah, warum die Klischees über den ersten Weltkrieg, die noch immer herumgeistern, vereinfachen und sogar verfälschen.

Am Aufbau gefiel mir bereits, dass Clark mit einer Darstellung Serbiens vor dem Ersten Weltkrieg beginnt. Damit hebt er hervor, dass die Ermordung des österreichischen Kronprinzen nahe der serbischen Grenze nicht nur Vorwand war, Serbien nicht nur der passive Auslöser einer europäischen Kettenreaktion. Im Gegenteil – Serbien, wird deutlich, hat aktiven Anteil am Geschehen.

Ansonsten beschreibt diese Arbeit größtenteils europäische Diplomatie und Diplomaten (, wobei aber auch Wirtschafts-, Militär- und Innenpolitik als Kontext dargestellt werden). Sie stellt heraus, wie verwirrend die Umstände der Zeit für die Akteure waren, wie leicht man Situationen falsch einschätzen und falschen Informationen zum Opfer fallen konnte. Kleine Missverständnisse konnten über Jahre hinweg Auswirkungen haben, weil niemand Machtverhältnisse durchschaute. Kernproblem, meint Clark, war, dass Machtpositionen ständig variierten. Man wusste kaum, wessen Aussagen galten. Das gilt für jeden der Akteure seit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Die Darstellung davon ließt sich oft spannend und aus heutiger Sicht sogar mit einer großen Prise Situationskomik.

Dazu trägt auch Clarks Stil bei. Er schreibt nicht trocken und flechtet Anekdoten ein, ohne unwissenschaftlich zu werden. Deutlich bewertet er die Quellenbelege, bleibt aber nachvollziehbar.

Was für mich etwas schwierig war, waren die Namen. Es gab so viele Akteure, die vorgestellt werden und immer wieder eine Rolle spielen, dass man ganz durcheinander gerät. Manchmal wiederholt er zwar, wer die Person genau nochmal ist, aber selten. Im Laufe der Darstellung wird es zwar immer einfacher, aber ein kurzes Dossier zu jeder Person (nur Name und Funktion) wäre schon nützlich gewesen.

Fazit: Die Darstellung Clarks ist tatsächlich äußerst lesenswert, allerdings empfiehlt es sich, ein wenig Durchhaltevermögen mitzubringen, weil sie recht komplex und umfangreich ist.